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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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Gandhi, der ein dem Zölibat entsprechendes Gelübde abgegeben hat, über alle Maßen. Ebenso den ehelosen Dalai Lama.
Aber den katholischen Priester will das Saalpublikum unserer Partydemokratie immer wieder mit rhythmischem Klatschen zur regelmäßigen Triebabfuhr ermuntern, weil alles andere unnatürlich sei?! Wie eigenartig, denn gleichzeitig beklagt der Stern in einer Titelgeschichte, dass in deutschen Betten nichts mehr los sei. Der Zölibat ist offenbar im ermüdeten Ehe-Alltag angekommen – vielleicht weil ihm unter dem durchsexualisierten Dauerbeschuss ganz einfach die Lust vergangen ist?
    Aber noch einmal: Da ignorieren hochgesinnte Einzelne nicht nur Karrieren und Wohlstand, sondern auch die geschlechtliche Vereinigung in zeichenhafter Enthaltsamkeit mit Verweis auf eine andere Welt, und wir können es nicht dulden? Hat denn nicht jede Religion ihre spirituellen Höchstleistungssportler? Wir sollten, um unserer Kirche willen, die ja auch in ihrem antimodernen Mysterium besteht, diese Frömmigkeitsartisten und Entsagungskünstler stützen, wo es nur geht – statt ihnen ständig die Ohren vollzublöken damit, was sie alles verpassen.
    Die geistliche Anstrengung und Askese, die uns unsere Priester vorleben, wird nicht mit Goldmedaillen oder Schlagzeilen belohnt, obwohl sie doch um einiges bedeutsamer sind für unser Heil als eine neue Rekordzeit im 800-Meter-Lauf. Wir sollten ihnen wenigstens mit unserem Respekt danken, weil sie uns allen, mitten im Alltag, eine Ahnung geben, dass es im Leben um mehr gehen kann als darum, seine Bedürfnisse – und zwar subito – zu befriedigen.
    Nicht katholische Sexualfeindlichkeit spricht aus der Tradition des Zölibats, wie immer wieder in einem groben Missverständnis behauptet wird. Den Zölibat gab es bereits im Hellenismus. Für die Kirchengeschichte lässt er sich bis in die Spätantike zurückverfolgen, ja bis zu den Briefen des Paulus, der vom »Unverheiratetsein um des Herren willen« spricht. Nach Max Weber zeichnete es die Träger des prophetischen oder künstlerischen Charismas schon seit je geradezu aus, dass sie ehelos sind.
    Selbst wenn, liebe Theologen und Politiker und aufgeregte Reformaktivisten, selbst wenn der Zölibat nicht biblisch zwingend
verankert sein sollte, so ist er doch tief in der katholischen Tradition eingewoben. Auch der Kölner Dom ist nicht biblisch belegt, und trotzdem machen wir kein ökumenisches Parkhaus daraus.
    Von außen wird der Katholizismus samt Zölibat und Papsttum als »überwältigender Kontrastreiz« empfunden. »Auf keinen Fall darf es sich auf die altbekannte Reformagenda katholischer Kirchenkritiker einlassen«, schreibt der evangelische Probst Johann Hinrich Claussen in seinem bemerkenswerten Buch Zurück zur Religion . Demokratisierung, Abschleifung der Hierarchie, Aufhebung des Zölibats, Priesterweihe für Frauen, das mag für gelangweilte Betriebszugehörige mit umstürzlerischem Erlebnishunger spannend klingen. »Doch wer nur von ferne zuschaut, dem müssen solche Reformen herzlich gleichgültig sein«, schreibt Claussen. »Denn er möchte ein Gegenbild zur eigenen Lebenswirklichkeit betrachten.«
    Noch einmal: Zu diesem Gegenbild gehört der Zölibat für uns Katholiken ganz zentral. Ich weiß, dass er oft missglückt. Dass er umgangen wird, dass er zu Doppelbödigkeiten, zu versteckten Familien, zu falschen Fassaden führen kann. Aber dort, wo er gelingt, hat er für mich etwas Strahlendes.
    Ja, der zölibatäre Priester ist eine auratische Glaubens-Figur. Er lebt im Vorhof des Heiligen. Er lebt eine radikale Frömmigkeit und dient mit Einsatz seines Lebens und verweist auf die zukünftige Welt. Franz von Assisi und Mutter Teresa sind zölibatäre Figuren, denen weltweite Bewunderung entgegengebracht wird. Mit welchem spirituellen Heroismus die Mönche des Klosters »Notre Dame de l’Atlas« ihre zölibatäre Liebe zu den Menschen der Umgebung leben und zu Gott, und wie fasziniert das Kinopublikum des Films Von Menschen und Göttern davon war! Doch auch für weniger entrückte Gottesdiener, für Männer, die monastisch leben und mitten in der Welt stehen wie der Jesuiten-Pater Breulmann, mit dem ich mich kurz nach seiner Amtseinführung als Leiter der katholischen Akademie in Hamburg traf, ist der Zölibat nichts Geringeres als ein »Abenteuer«. Er fühle sich, so
der Pater, ungebundener und freier, als er es könnte, wenn er für eine Familie zu sorgen hätte. Der Zölibat ist neben allem anderen eine

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