Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
Dinge, die andere Leute so wichtig fanden. In ihrem Liebeskokon fühlte sie sich vollkommen ausgefüllt. Gerade, als ihr mal wieder richtig bewusst wurde, was sie für ein Glückspilz war, kam Chantalle angebrettert. Auf das Arschgewackel verzichtete das schöne Kind – logisch, denn Leos Wagen stand nicht vorm Haus.
„Hey, Mum, wollte nur mal gucken, wie’s dir geht!“
Elaine schaute skeptisch. Das waren ja ganz neue Töne. Ihre Tochter wirkte so lässig. Selbst ihre Kleidung war für Chantalles Verhältnisse herrlich normal. Kein tiefer Ausschnitt, auch kein ultrakurzer Minirock, sondern Jeans und Top, dazu flache Schuhe. Sollte sie endlich zur Vernunft gekommen sein? Elaine wollte sich auch bessern und nicht so schlecht von ihrem eigenen Kind denken. Vielleicht hatte sie gedanklich übertrieben. Sie schämte sich zutiefst, sprang auf und umarmte ihre Tochter.
„Hallo, mein Schatz. Wollen wir uns was zu essen bestellen? Ich hab Hunger auf eine Pizza.“
„Was ist denn mit dir los? Du hast mich seit Monaten nicht umarmt. Alles klar bei dir?“
„Ja, alles bestens. Das tut mir leid, Channi. Ich glaube, wir beide haben ganz schön viel aufzuholen. Seitdem du und dein Vater ausgezogen seid, habe ich mich gehen lassen und war bestimmt nicht immer die Mutter, die ich hätte sein sollen. Es… es tut mir leid. Puh“, Elaine lachte unsicher, „soll ich jetzt mal den Pizzaboten anrufen?“
Chantalle setzte sich auf einen Sessel und musterte ihre Mutter. Sie wirkte nicht wie eine Siebzehnjährige, sondern wie eine erwachsene Frau. Ruhig, nachdenklich – abgebrüht. Ja, abgebrüht, das ist die passende Bezeichnung für Channi, ging es Elaine durch den Kopf. Um irgendwas zu tun, räumte sie Zeitschriften zu einem Stapel zusammen und wischte unsichtbaren Staub mit der Hand weg.
„Ich habe keinen Hunger. Und wenn ich dir einen Rat geben darf: Iss nicht so viel. Du hast bestimmt vier Kilo zugenommen, stimmt’s?“
„Keine Ahnung, ich war seit Jahren nicht auf der Waage. Na, über zu viel auf den Rippen können wir uns nun echt nicht beschweren, Channi. Ich pass immer noch in Größe 36. Warte ab, bis du in mein Alter kommst, da setzt alles sofort an. Aber gut, du hast recht, ich nehm nur einen Salat.“
„Gute Entscheidung. Bestimmt steht Leo auch nicht auf eine dicke, alte Freundin.“
Abrupt hielt Elaine inne und schaute ihrer Tochter wütend in die Augen.
„Was soll das, Channi? Hör auf mit dem Scheiß, ich hab es dir schon mal gesagt! Okay?“
„Entspann dich mal. Ich will doch nur, dass du nicht enttäuscht bist, wenn du verarscht wirst. Und das wirst du, sei dir sicher. Leo ist nicht der Heilige, den du so gerne hättest. Dass du das nicht schnallst! Eigentlich sollten Mütter ihren Töchtern erklären, wie die Männer ticken. Bei uns ist es anscheinend andersrum. Voll peinlich, wenn du mich fragst.“
„Ich frag dich aber nicht!“ Elaines Stimme klang schrill. Sie ging in die Küche, holte eine Gurke aus dem Kühlschrank. Irgendwo musste sie noch Dill-Dressing haben, dann gäbe es eben Gurkensalat statt Pizza. Sie musste etwas tun, sonst würde sie noch durchdrehen. Was hatte sie nur für ein selbstgefälliges Kind herangezogen? Auf einmal stand Chantalle hinter ihr und guckte über Elaines Schulter.
„Seit wann machst du Gurkensalat? Das gab’s hier früher nie.“
„Schon länger. Geh mal einen Schritt zur Seite, ich muss da unten ran.“
„Nun sei nicht sauer, Mama. Es ist normal, dass Mütter und Töchter sich mal streiten. Das ist der weibliche Konkurrenzkampf. Jede von uns will die Schönste sein, das ist sogar im Tierreich so.“
„So ein Quatsch, Channi. Tiere wissen nicht, was schön oder nicht schön ist.“
„Oho! Jetzt bist du auch noch Tierexpertin. Hast du dieses Wissen von Zoo-Leo?“
Chantalle musste über ihren eigenen Witz lachen. Sie versperrte Elaine immer noch den Weg zur Besteckschublade, damit Elaine sich ein schärferes Messer raussuchen konnte.
„Mir ist das echt zu blöd, Channi. Wenn du stänkern willst, such dir jemand anderen. Ich lass mir meine gute Laune von dir nicht versauen. Und nun geh endlich mal zur Seite, ich brauch ein anderes Messer.“
Chantalle stellte sich neben die Theke. Sie konnte sich gut daran erinnern, wie oft sie sich an der harten Marmorkante gestoßen hatte, als sie noch kleiner war. Lange Zeit klebte ein aufgeschnittener Tennisball an der Kante, damit es nicht so gefährlich für Channis Kinderkopf war. Jetzt reichte ihr die
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