Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
Außerdem brachte es ja eh nichts. Sie waren verloren. Nachdem sie sich stundenlang jedes Straßenschild eingeprägt hatte, auch auf besondere Gebäude und Uhrzeiten geachtet hatte, gab sie es auf. Kimberley war unglaublich müde und alles tat ihr weh. Vielleicht könnte sie etwas schlafen, dann würde sie mit sehr viel Glück auch einfach aus diesem Albtraum aufwachen. Mit geschlossenen Augen hörte sie nur noch die aggressive Musik und versuchte ihr etwas Gutes abzugewinnen. Einen Rhythmus, eine Melodie oder tröstenden Text. Doch da war nichts. Nur Böses, Angst und Wut.
Sie wachte auf, als die Musik nicht mehr wummerte. Wie gerne sie einfach weitergeschlafen hätte, einfach schlafen und nichts mitbekommen. Vorsichtig blinzelte Kimberley zu Lea herüber, die ihre eigenen Knie umklammerte. Sie wollte flüstern, aber bekam keinen Ton heraus. Es war stockfinster draußen, nur ein paar Lichter an einem verlassenen Gebäude mit Flachdach flackerten. Das Auto hielt an, Benny und der andere stiegen aus. Kimberley und Lea hatten keine Chance. Sie saßen in der Falle und fürchteten sich vor dem nächsten Moment. Von beiden Seiten wurden die Hintertüren aufgerissen. Benny packte Kimberley grob am Oberarm, das Narbengesicht griff sich Lea. Sie stolperten auf den düsteren Schotterplatz. Um sie herum war nichts, nur ein paar Autos parkten vor dem schlichten Haus mit kleinen Fenstern und einer breiten Tür, ähnlich einer Dorfdisco. Es sah hier genauso aus wie in einem Krimi aus dem Fernsehen. Kimberley fing an zu weinen. Was sollte sie hier? Warum half ihr denn keiner?
„So, Endstation“, sagte Benny und klang nicht mehr ganz so wütend wie in den vergangenen Stunden.
„Darf ich meine Eltern anrufen?“, fragte Kimberley und klang so piepsig wie ein Kleinkind.
Der Pockennarbige machte ein blödes Gesicht, brach dann in schallendes Gelächter aus. Benny grinste ebenfalls und lachte kurz mit.
„Wohl kaum. Macht erstmal euren Job anständig, dann sehen wir weiter. Morgen geht’s los. Ihr müsst gucken, ob ihr noch was zu essen findet. Fragt die anderen Weiber. Und wer abhauen will, wird kalt gemacht. Klar?“
Kimberley nickte. Lea sagte gar nichts. Sie ließen sich von den Männern in Richtung Haus schubsen. Benny schloss auf, die vier traten ein. Sie gingen durch eine Art Waschküche, in der es nach dreckigen Klamotten stank und überall verstreut Sachen herumlagen. Man konnte wegen der Dunkelheit kaum etwas erkennen. Im nächsten Raum war es ein bisschen heller. Das Zimmer maß etwa zwanzig Quadratmeter und sah aus wie ein total runtergekommenes Wohnzimmer. Drei junge Frauen sprangen vom Fußboden auf und flüchteten an die hinterste Wand. Offensichtlich hatten sie gerade geschlafen, obwohl ein Fernseher lief, in dem ein Boxkampf übertragen wurde. Kimberleys Blick raste von links nach rechts, zu Lea, den anderen Frauen, zu Benny und dem Akne-Fritzen. Einige Regale standen herum und es gab einen Tisch mit vier Stühlen. Alles wirkte richtig asozial.
Stumm starrten die Frauen die Neuankömmlinge an. Bestimmt waren sie genauso entführt worden wie sie jetzt. Oh Gott! Kimberley bekam heftige Bauchschmerzen und krümmte sich. Sie wusste, was jetzt kommen würde.
„Ist hier ein Klo?“, flüsterte sie panisch und versuchte, ihre Übelkeit in den Griff zu bekommen.
„Rechts, da lang“, wies Benny mit dem Kinn zu einer Tür. Kimberley lief die paar Schritte und erreichte den Klodeckel gerade noch rechtzeitig. Sie schaffte es noch, die Tür hinter sich zuzuziehen und übergab sich dann in die Toilette. Ihr war so schlecht, sie zitterte am ganzen Körper und musste auch noch dringend pinkeln. Erleichtert setzte sie sich auf die versiffte Klobrille. Dass sie sich jemals darüber freuen könnte, auf Toilette gehen zu können! Mama, Papa, ich schwöre euch, dass ich nie wieder abhaue! Ich bleibe für immer bei euch, wenn ich nur dieser Hölle entkomme! Bitte, lieber Gott, hilf mir! Sie schluchzte auf. Neben der Toilette gab es noch ein kleines Waschbecken, sie wusch sich Hände und Gesicht. Sonst war hier nichts, außer Dreck, Dreck, Dreck. Trotzdem wäre sie am liebsten gar nicht mehr herausgekommen, aber das ging wohl nicht. Sie öffnete die Tür und ging die paar Schritte zurück zu den anderen. Ängstlich sah sie Lea an, die mit den Lippen das Wort „Scheisse“ formte. Kimberley nickte.
„Guck doch nicht so bescheuert!“, rief der Osteuropäer und schnappte sich eine sehr blonde Frau in Leggings und T-Shirt. Er
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