Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
spitze Ecke bis zur Taille. Sie lehnte den Oberkörper weit nach vorne und stützte ihre Ellenbogen auf den Marmortresen. Das Gesicht in den Händen abgestützt, verfolgte sie die fahrigen Bewegungen ihrer Mutter. Hektisch machte Elaine an der Gurke herum. Man sah, dass sie keine Übung in so was hatte.
„Ich war gestern bei Leo“, sagte Chantalle im Plauderton.
Elaine drehte sich nicht um, zeigte Chantalle weiterhin ihren Rücken und goss das Dressing in einen Becher. Sie antwortete nicht. Schweiß trat ihr auf die Stirn, sie hielt die Luft an. Das war bestimmt eine Lüge. Gleich würde Leo kommen, bis dahin schmiss sie ihre Tochter raus. Es reichte. Sie war nicht die einzige Mutter, die sich einfach nicht mit ihrem Kind verstand; so was kam in den besten Familien vor. Sie hörte einfach nicht weiter hin, was Channi da für einen Blödsinn plapperte.
„Mama, hörst du mich?“, lachte Chantalle schon wieder in ihrer fürchterlichen Art. Überheblich, gemein und von oben herab. „Ich habe gestern mal geschaut, wie dein Leo so wohnt. Ehrlich gesagt war ich etwas erstaunt. Ich denke, der hat so viel Kohle. So besonders ist seine Wohnung nun nicht. Na ja, geht so. Aber ich hatte es mir trotzdem anders vorgestellt. Du auch?“
„Bitte lass mich jetzt allein, Chantalle. Das muss ich mir nicht anhören, auch nicht von dir. Wir sprechen noch darüber, aber nicht heute. Ich muss erst noch mit deinem Vater reden, denn das wird noch nicht mal ihm gefallen, wie du dich hier aufführst. Aber nun fahr erst mal. Tschüss, Channi.“
Nein, sie würde sich nicht anmerken lassen, wie tief enttäuscht sie war, wie entsetzt und panisch. Hatte Chantalle wirklich Leo besucht? Wieso erzählte er ihr nicht davon? Sie hatten doch noch spät in der Nacht telefoniert; das hätte er doch erwähnen müssen!
„Ja, ja, dann hau ich wieder ab. Du warst schon immer so kalt zu mir. Nicht wie die anderen Mütter, weißt du das eigentlich? Du denkst, ich bin immer so cool gewesen, aber hast du dich jemals gefragt, warum ich so geworden bin? Bestimmt nicht. Ich bin so froh, dass ich noch Papa habe. Was bist du nur für eine Mutter! Ach ja, noch was: Küssen kann Leo nicht besonders gut, also hab ich auf Sex mit ihm verzichtet. Ich fass den nicht mehr mit der Kneifzange an, du hast also jetzt deine Ruhe vor mir. Tschüss!“
Das war zu viel. Channi hatte Leo geküsst, nein, das durfte nicht sein! Elaine drehte sich mit ausgestrecktem Arm um, öffnete die Handfläche und schlug ihrer Tochter mit voller Wucht auf die rechte Wange. Chantalle wollte gerade auf dem Absatz kehrtmachen und flog durch den heftigen Schlag mit der Schläfe auf die Küchentheke. Alles ging so rasend schnell, Elaine wusste nicht, wie ihr geschah. Ihr Schlag, Channis Aufschrei und der Sturz zu Boden waren fast eins. Chantalle rutschte zu Boden und lag mit verdrehten Beinen auf dem Rücken, direkt neben einem Barhocker. Ihre Augen waren geschlossen, die langen Haare lagen wie hingegossen auf den weißen Fliesen.
„Chantalle! Wach auf!“, schrie Elaine panisch und ging in die Hocke. Ihr Kind war bewusstlos, ach du Scheiße! Was hatte sie nur getan! Hoffentlich blutete sie nicht! Vorsichtig hob Elaine den Kopf ihres Kindes an, aber es war kein Blut zu entdecken. Der Brustkorb hob und senkte sich; Gott sei Dank, sie lebte.
„Channi! Das wollte ich nicht! Hörst du mich?“ Sie strich über Chantalles Gesicht, schnaubte und weinte. Sie musste einen Arzt rufen. Gerade in dem Moment, als sie aufspringen wollte, kam Leo herein. Sie hatte ihn gar nicht kommen hören; spürte nur das Pochen in ihrem Kopf.
„Oh Gott, was ist passiert?“
„Leo, ruf schnell einen Krankenwagen, scheiße, ich wollte das nicht, schnell! Nein, gib mir das Telefon!“
Sie rief die 112 an und verschluckte sich fast an ihren Worten, aber vergaß immerhin nicht, einen Notarzt mitzuordern.
„Ob ich sie rüber aufs Sofa tragen soll? Oder lässt man Verletzte so liegen? Ich hab alles aus dem Erste-Hilfe-Kurs grad vergessen! Was ist denn überhaupt passiert, Elaine?“
Leo wurde so hektisch, wie Elaine ihn noch nie gesehen hatte. Aber das war ja auch eine besondere Situation; so etwas hatten sie noch nicht erlebt. Sofort waren Chantalles Worte wieder da… Küssen kann Leo nicht besonders gut …
„Ich weiß nicht. Vielleicht vorsichtig Kissen unter ihren Kopf und die Beine legen? Oh Gott, Leo, hoffentlich ist nichts Schlimmes passiert! Vielleicht ist es ja nur eine leichte Gehirnerschütterung,
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