Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
rausrücken, man solle die Scheidung besprechen. Aber Lisa hatte Angst. Sie war froh über jeden weiteren Tag, an dem sie nichts mit ihm bereden musste. Wenn es nach ihr ginge, würde Ingmar am besten nie wieder auftauchen – nur so konnte sie die Vergangenheit einigermaßen verdrängen.
Seit zwei Tagen wohnte sie mit den Kindern im ersten Stock eines Einfamilienhauses, eine Straße von der Veilchengasse entfernt. Man musste nur um die Ecke gehen, dann sah man ihr altes Haus. Oder besser gesagt das, was davon übrig geblieben war. Unten lebte ein älteres Ehepaar, das zurückhaltend und unauffällig war. Sie schien nicht zu interessieren, was bei den Suhrhoffs losgewesen war. Sören hatte sich um alles gekümmert, die Wohnung gefunden, einen günstigen Mietpreis ausgehandelt und ihr ein neues Konto besorgt. Sie konnte das alles nicht, ihr war es auch egal – all diese Zahlen, Gesetze, Vorschriften und Verträge. Was zuvor Ingmar für die Familie geregelt hatte, übernahm nun Sören.
Hanna war eifersüchtig, das konnte Lisa einerseits verstehen. Andererseits hatte Hanna wirklich selbst schuld, wenn Sören sie nicht als Frau wahrnahm. Wie sie aussah! Sie wurde immer fetter, ihre Haare wurden dünner und sogar teilweise schon grau. Man musste doch ein bisschen nett zu seinem Mann sein, sich auch mal anschmiegen und sexy anziehen. Aber Hanna kam rüber wie das reinste Mütterlein. Außerdem glaubte Hanna allen Ernstes, dass sie gut kochen und backen konnte, doch ihre Küchenkünste waren der reinste Witz. Lisa brauchte keine unzähligen Küchenmaschinen, um einen frischen Hefeteig herzustellen. Ihr gelang das auch mit einfachen Mitteln und sie sah dabei noch gut aus. Ja, sie hatte die bewundernden Blicke genossen, als sie noch bei den Zielkes gewohnt hatte. Wenn Sören von der Arbeit kam und Lisa heimlich beobachtete, kribbelte es angenehm. Fast so wie früher bei Ingmar. Neu zwar, fremd und auch verboten, aber total schön.
Na und, es war ja nichts passiert. Es stellte sich sowieso heraus, dass Hanna nicht die Freundin war, für die Lisa sie gehalten hatte. Sie beide hatten kaum was gemeinsam. Dann noch diese verwöhnte Göre Kimberley. Ein ganz schreckliches Mädchen, um das sich alles drehte. Lisa war wahnsinnig froh darüber, dass Sebastian und Julia nicht solch einen Geschiss um ihr schweres Schicksal machten. Da kam Lisas gute Erziehung durch und die Tatsache, dass sie keine Einzelkinder waren. Kimmy hier, Kimmy da, so ging es den ganzen Tag bei Hanna. Prinzessin Kimberley wusste ganz genau, welche Hebel sie bewegen musste, damit ihre Mutter gleich wieder für sie sprang. Dass Sören das nicht gefiel, merkte Lisa ganz genau. Aber wie hätte er bei seinem stressigen Beruf sich auch noch um die Erziehung seines verkorksten Kindes kümmern sollen? Dafür hatte Hanna weiß Gott genug Zeit.
Das Leben als alleinerziehende Mutter fühlte sich komisch an. Niemals hätte Lisa gedacht, dass ihr das einmal passieren würde. Gott sei Dank war die Wohnung bereits möbliert – altmodisch zwar, aber besser als gar nichts. So konnte sie sich gleich häuslich niederlassen und bemühte sich, nicht an Ingmar zu denken. Es gab auch genug zu tun, sie wollte es so gemütlich wie möglich haben. Die Wohnung war größer als die vorige. Jedes Kind hatte ein eigenes Zimmer, dann gab es noch ein Wohnzimmer, eine Küche, einen Abstellraum und ein Schlafzimmer ganz für sie allein. Sie hatte nur ein Kissen und eine Decke auf das Doppelbett gelegt und schlief in der Mitte. Wenn sie sich einsam fühlte, dachte sie fest an Sören. Das klappte ganz gut und vertrieb die Erinnerungen. So viel Pech wie sie im Leben gehabt hatte – da hatte sie sich diese kleine Träumerei wohl verdient.
Lisa blickte von ihrem Wohnzimmerfenster hinab auf die Straße. Die Kinder waren in ihren Zimmern, unten hörte man leise den Fernseher der Vermieter. Ob sie ein wenig spazieren gehen sollte? Sie brauchte niemanden mehr zu fragen, konnte einfach so rausgehen, musste auf nichts warten. Julia war alt genug, um auf Sebastian aufzupassen.
„Julia, Sebastian, ich geh ein bisschen raus, okay? Ich bin in einer Stunde wieder hier. Denkt an eure Hausaufgaben! Sebastian, vorm Zubettgehen springst du nochmal unter die Dusche! Tschüss!“
Die Kinder waren entspannt. So hatte Lisa die beiden lange nicht erlebt. Sie fragten überhaupt nicht nach ihrem Vater und schienen wie ausgewechselt. Auch Lisa fühlte sich seit Langem frei und glücklich. Sie zog sich das einzige
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