Das Keltenkreuz
alles so, wie es aussieht. Wir büßen für unsere Sünden. Wir haben es nicht geglaubt. Wir haben es übersehen, aber wir können die alten Dinge nicht einfach ignorieren. Nein, das können wir nicht.«
»Wovon reden Sie?«
Ich hatte gefragt und wurde auch angeschaut. »Man darf es nicht tun. Man darf nicht mal daran denken. Es muß dort stehen und im Gleichgewicht der Kräfte bleiben.«
»Wovon sprechen Sie?« fragte Vivian.
»Vom Kreuz.«
»Keltenkreuz?«
»Ja.«
»Und weiter?«
Der Mönch verzog das Gesicht. Er schloß für einen Moment die Augen.
»Nichts weiter, gar nichts. Das Gleichgewicht muß bleiben. Das Kreuz soll in Ruhe gelassen werden. Es muß hier auf der Insel bleiben. Es ist ein Zeichen.«
»Wir hatten auch nicht vor, es wegzuholen«, sagte ich.
»Ihr seid dort gewesen, nicht?« Ich nickte.
»Was habt ihr getan?«
»Nicht viel.«
»Doch.« Er schaute mich schon verzweifelt an. »Ihr habt etwas getan, sonst wäre es mir nicht schlecht ergangen.« Laut holte er Luft. Dann deutete er auf seinen Bauch. »Es war das glühende Schwert, das sich hineingebohrt hat. Das Schwert. Der Schmerz. Es kam alles zusammen. Ich habe gelitten…«
Vivian und ich schauten uns an. Wir kamen da nicht so recht mit.
»Sagen Sie was, John«, flüsterte sie.
»Gelitten haben Sie?«
»Schrecklich.«
»Was hat Ihr Leiden mit dem Kreuz zu tun? Können Sie uns das sagen?«
»Nein, ich weiß zu wenig. Ich weiß nur, daß plötzlich das Gleichgewicht gestört worden ist.«
»Ach«, sagte ich. Das war mir neu. Er sprach von einem Gleichgewicht, nur konnten wir damit nichts anfangen. »Es tut mir leid«, sagte ich, »aber können Sie uns erklären, welches Gleichgewicht Sie meinen? Ich habe keine Ahnung.«
Er rang zunächst nach Luft, bevor er leise sprach. »Das Gleichgewicht zwischen den Welten. Es hat existiert. Es hat geklappt, aber jetzt ist es aus der Waage geraten.«
»Sie sprechen vom Kreuz draußen?«
»Ja.«
»Das steht in einem Gleichgewicht?«
»Es muß so sein.«
»Zwischen welchen Parteien? Wird von einem Gleichgewicht gesprochen, gibt es immer zwei Seiten.« Ich ging noch einen Schritt weiter und sagte: »Eine gute und eine böse.«
Der Mönch schwieg zunächst. Er dachte über meine Worte nach.
Hier vorn am Altar war es etwas heller, da das Licht durch zwei Fenster sickerte. So konnte ich das Gesicht des Mannes besser erkennen. Der Mönche war in einem mittleren Alter. Ein dünner Bart verzierte seine Wangen. Auf der ziemlich hohen Stirn zeichneten sich zahlreiche Falten ab.
»Gute und böse«, murmelte er dann. »Ja, das ist es. Das ist das Prinzip der Welt. Nur so können wir das Gleichgewicht halten. Im großen und im kleinen.«
»Wie hier?« fragte ich. »Ist das hier die kleine Welt?«
»Unsere Insel.«
»Und wo ist das Böse?« fragte Vivian Cameron, die es einfach nicht länger aushalten konnte. »Wo befindet es sich? Hier in der Kirche? Das glaube ich nicht. Da habe ich noch nichts Böses sehen können. Wo hält es sich denn verborgen?«
»Ihr seid von draußen gekommen.«
»Das stimmt.«
»Das Kreuz…«
Ich wußte, daß er darauf wieder zu sprechen kommen würde, und hoffte, daß er jetzt bei dem Thema blieb. »Kreis und Kreuz sind hier vermischt. Gut und Böse. Das Gute ist das Kreuz. Der Kreis ist böse und heidnisch.«
»Hat es auch einen Namen?« fragte ich sofort nach. Ich spürte, daß wir uns allmählich dem Ziel näherten.
»Lug«, sagte er. »Es heißt Lug!«
Ich schwieg, senkte den Blick. Den Begriff hatte ich in einem derartigen Zusammenhang noch nie gehört. Wohl als Lug und Trug, aber das konnte es nicht sein. »Wer oder was ist das?«
Die Antwort gab Vivian.
»Lug ist ein Gott – oder ein Götze. Ein keltischer Sonnengott. Deshalb auch der Kreis, der die Sonne symbolisiert. Ein Götze, der angebetet wurde, und zwar vor der Christianisierung der Insel.«
»Dann wurde er damals integriert?« flüsterte ich.
Vivian nickte. »Ja, so ist es gewesen. Die Missionare haben einen Kompromiß geschlossen. Sie wollten die Kelten von ihrem Druiden- und Naturglauben abbringen, aber es war nicht so leicht, denn die Menschen waren ebenfalls fest verwurzelt. Deshalb entschlossen sich manche Missionare, den Gott Lug zu integrieren. Aber das gibt es nicht nur hier bei uns. Denken Sie an den Macumba-Zauber in Südamerika. Dort finden Sie ähnliche Tatsachen, auch heute noch. Da mischen sich Voodoo und das Christentum zu einer abergläubischen Soße. Hier ist es
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