Das Keltenkreuz
Ort für ein Verbrechen gewählt worden war.
»Sie glauben gar nicht, was es nicht alles gibt«, erwiderte ich leise, denn ich hatte bereits üble Erfahrungen mit diesem Thema gemacht.
»Einen Pfarrer gibt es aber hier nicht«, sagte sie leise. »Die Mönche aus dem Kloster leiten die Kirche. Sie lesen auch die Messen. Hier trifft sich die Ökumene. Nicht nur rein katholische Gottesdienste werden hier abgehalten.«
Ich hörte ihr zu und verzichtete auf eine Antwort. Ich hatte mir den Altar und dessen Umgebung genauer angeschaut. Dort sah ich auch ein großes Kreuz. Es stand hinter der Altarplatte und wirkte auf mich beherrschend. Das Kreuz zeigte keinen Kreis in der Mitte. Hier war der heidnische Keltenglaube nicht manifestiert worden.
Daß die Kirche noch von Gläubigen benutzt wurde, war zu sehen. Auf den Bänken und den anderen Sitzflächen lag kein Staub. Das Holz wirkte blank. Gebetbücher bildeten kleine Stapel auf den Bänken.
Ich ging durch den breiten Mittelgang auf den Altar zu. Es war mir ein Bedürfnis, und es kam mir auch so vor, als hätte mich eine innere Stimme angetrieben. Der Schrei war nicht vergessen. Wir hatten uns auf keinen Fall geirrt. In der Umgebung hatte es nur dieses eine Gebäude gegeben.
Der Steinfußboden war blank poliert. Das Licht zwischen den Wänden erinnerte mich an einen Nebel. Manchmal huschten außen an den Fenstern irgendwelche Vögel vorbei. Die Schatten malten sich auf dem Boden ab.
Der Platz zwischen der ersten Bank und dem Altar war nicht einzusehen, aber das Geräusch war nicht zu überhören. Beide wußten wir, daß wir nicht allein in der Kirche waren.
Vivian, die hinter mir ging, legte mir eine Hand auf die Schulter und erzwang so einen Stopp. »Da war doch was«, wisperte sie dicht an meinem Ohr. »Das haben Sie auch gehört…?«
Ich nickte.
»Hat da jemand gestöhnt?«
»Wir schauen nach.«
Es war tatsächlich so etwas wie ein Stöhnen oder leises Jammern zu vernehmen gewesen. Beide warteten wir darauf, daß sich der Laut wiederholte, und wir hatten Glück, denn dieses leise Jammern erreichte erneut unsere Ohren. Diesmal bestückt mit schabenden Lauten, als wäre jemand dabei, am Holz der Kirchenbänke zu kratzen.
Vor der ersten Bank richtete sich eine Gestalt auf. Diesmal geriet sie in unser Blickfeld. Sie tauchte langsam auf, Stück für Stück, und wir sahen sofort, daß der Mann Schwierigkeiten hatte, sich auf den Beinen zu halten. Er stützte sich an der ersten Bank ab, blieb dort schwankend stehen und atmete schwer.
»Das ist ja ein Mönch!«
Vivian Cameron hatte sich nicht geirrt. Der Mann trug eine dunkle Kutte.
Er hatte uns schon gesehen. Halb über die Bank gebeugt, starrte er uns an. Sein Gesicht wirkte sehr blaß und war auch in Höhe des Mundes verzerrt.
Der Mönch oder Priester hatte seine Hände um das Holz gekrallt. Er holte laut Luft und schlürfte dabei. Auf uns achtete er erst, als wir neben ihm standen und ich ihn fragte, ob wir ihm helfen könnten.
»Ich, ich will mich setzen«, flüsterte er.
Ich wollte nicht, daß er zusammenbrach, deshalb reichte ich ihm die Hand, aber der Mönch hängte sich bei mir ein und ließ sich in die Bank hineinführen. Dort nahm er Platz, starrte auf den Altar und hielt dabei die Hände auf seinen Leib gepreßt.
Ich schaute hin, weil ich erfahren wollte, ob sich dort eine Wunde abzeichnete und Blut austrat, aber das war bei ihm nicht der Fall. Er drückte dort nur den Stoff zusammen. Die Schmerzen mußten ihn von innen peinigen.
Vivian und ich saßen nicht. Wir waren vor der Bank stehengeblieben und schauten ihn an. Ein hartes Lächeln umzuckte seine Lippen. Die Augen schimmerten, als hätte jemand Wasser hineingeträufelt. Mühsam bewegte er die Lippen.
Was er sagte, konnten wir nicht verstehen. Er murmelte die Worte vor sich hin, und Vivian erkundigte sich, ob wir ihn zurück in das Kloster begleiten sollten.
»Nein, noch nicht.«
»Fühlen Sie sich denn besser?«
»Es geht allmählich.«
»Schön.«
»Aber Sie waren es, der geschrieen hat?« fragte ich. »Wir haben Ihren Schrei gehört, nicht wahr?«
Der Mönch schaute mich eine Weile an, ohne eine Antwort zu geben.
Möglicherweise suchte er nach Worten oder überlegte, ob er uns trauen konnte.
»Waren Sie es?«
Er nickte. »Ja, ich war es. Ich habe geschrieen. Ich spürte plötzlich den Schmerz in meinem Leib.«
»Warum?«
Der Mann drückte seinen Kopf zurück. Die Hände preßte er nach wie vor auf seinen Leib. »Es ist nicht
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