Das Keltenkreuz
hatte ich die Schlösser geöffnet und den Deckel angehoben. Ich starrte in die Truhe hinein, und die reine Freude durchschoß mich wie ein gewaltiger Stoß.
Vor mir hockte Vivian Cameron!
Sie konnte nicht reden, denn sie hatte genug mit sich selbst zu tun. Sie rang nach Luft. Ich sah auch, daß sie gelitten und deshalb geweint hatte.
Dann zog ich sie hoch.
Vivian ließ alles mit sich geschehen. Als ich sie vor der Truhe abstellte, mußte ich sie schon stützen, sonst wäre sie mir noch zusammengebrochen.
Ihre nasse Wange drängte sich gegen die meine. Ich hörte ihr Flüstern, ohne die Worte zu verstehen, und es dauerte seine Zeit, bis sie sich wieder einigermaßen erholt hatte.
»Das war Rettung in letzter Sekunde, John. Danke. Von allein wäre ich da nicht mehr rausgekommen.«
»Der Abt?« fragte ich.
»Ja«, flüsterte sie. »Dieses Schwein. Ich kenne ihn schon so lange. Erst jetzt aber habe ich sein wahres Gesicht gesehen. Er ist ein Abtrünniger. Er hat seinem Glauben den Rücken zugekehrt und sich dem heidnischen Götzenkult zugewandt. Mich wollte er ertränken. Elendig ersaufen lassen. Von dir hat er gesprochen wie von einem Toten.«
»Manchmal irrt der Mensch eben.«
Sie holte tief Luft. »Ja, das habe ich gesehen. Dabei kann ich es noch immer nicht glauben, daß du tatsächlich vor mir stehst. Das will mir nicht in den Kopf.«
»Laß es auch sein, Vivian. Nimm es einfach so hin. Ist das okay?«
»Und wie«, flüsterte sie, bevor sie mich küßte. Dabei wurde sie selbst rot. »Es ist zwar kitschig, aber ich habe einfach das Bedürfnis gehabt, du verstehst?«
»Sehr gut sogar. Aber noch haben wir die Dinge nicht regeln können. Der Kampf geht weiter, Vivian. Was weißt du?«
»Bruder Martin ist nicht mehr hier. Er hat mir von einer entscheidenden Nacht erzählt, in der er den großen und auch den letzten Schritt nach vorn machen will.«
»Das ist die jetzige Nacht?«
»Natürlich.«
»Er ist draußen. Hält er sich beim Kreuz auf?«
»Davon müssen wir ausgehen.«
»Und weiter?«
Vivian hob die Schultern. »Ich weiß leider nicht, was da im einzelnen ablaufen soll, aber etwas Gutes wird dabei bestimmt nicht herauskommen, denke ich.«
»Da gebe ich dir recht. Es wird nichts dabei herauskommen, was uns gefallen könnte.« Ich besah mir die dunkle Fensterscheibe. »Aber wir werden ihn stoppen, Vivian.«
»Das hoffe ich.« Sie faßte meine Hände an und drückte sie leicht. Ihre waren kalt geworden. »Nur darfst du eines nicht vergessen, John. Du oder wir kämpfen nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen die Kraft des alten Keltengötzen Lug.«
»Das weiß ich.«
»Kannst du ihn besiegen?«
»Ein Versuch ist es wert, Vivian. Allerdings muß ich dir noch etwas sagen. Der Abt hat mir meine Pistole abgenommen. Ich bin also unbewaffnet, abgesehen von einem Beil, das ich im Keller fand…«
»Wo der Mörder war, nicht?«
»Ja, ich war besser.«
»Gut«, flüsterte sie, »gut.« Dann zog sie mich auf die Tür zu. »Laß uns gehen, bitte!«
»Du weißt, was auf dich zukommen kann?«
»Ja, ich weiß es. Aber ich stehe es durch. Das bin ich allein schon meinem Großonkel schuldig. Mag er sein, wie er will, was hier geschehen ist, hat er nicht verdient…«
***
Es war die Nacht der Gespenster!
Zumindest für einen Mann wie Bruder Martin, der sie als seine Kulisse, als seine Bühne ansah und sich vor allen Dingen auf den Himmel konzentrierte, an dem sich unheimliche Bilder zeigten, allerdings völlig normale Szenen, nur eben von Wolken und Wind gebildet, der dafür sorgte, daß sie immer wieder zerrissen wurden und so neue Szenen bilden konnten.
Der Wind war sein Freund. Er hatte zugenommen. Er wuchtete in das Gesicht des einsamen Mannes, der unbeirrt seinen Weg ging und eben nur ein Ziel kannte – das Kreuz!
Hingehen.
Sich ihm widmen.
Ihm dienen.
Alles tun, was Lug verlangte, um in seinem Sinne die Zeit vergessen zu lassen, die schon so viele Jahrhunderte angedauert hatte. Es wollte keinen Kompromiß mehr zwischen dem Christentum und der alten Keltenreligion geben. Einer mußte verschwinden, um dem Gott Lug den nötigen Platz zu schaffen.
Er war der Sieger!
Der Abt malte es sich aus, während er gegen den Wind ankämpfte und den Kopf gesenkt hielt. Es war ja nicht weit zu gehen, und er mußte auch an der Kirche vorbei.
Sein Gesicht verwandelte sich in eine böse Grimasse, als er die flackernden Lichter hinter den Scheiben der Fenster sah.
Dort hockten die Mönche wie ängstliche
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