Das Keltenkreuz
schaute nach oben, der Abt nach unten. Und er hielt eine Pistole in der Hand, mit der er sie bedrohte!
In seinem Besitz wirkte sie wie ein Fremdkörper.
Vivian war beeindruckt, aber sie verging nicht vor Angst, denn sie konnte noch einen raschen Blick in die Runde werfen und stellte fest, daß sie sich nach wie vor im Arbeitszimmer des Abts befand. Nicht weit von dem Stuhl entfernt, auf dem sie gesessen hatte.
Bruder Martin lächelte. In seinen Augen lag eine Kälte, die Vivian erschreckte. Sie konnte nur mühsam sprechen und fragte dann:
»Warum? Warum haben Sie das getan, Bruder Martin?«
»Ich mußte es tun.«
»Nein, das…«
»Doch. Und ich kann auch auf dich keine Rücksicht nehmen. Du bist zum falschen Zeitpunkt hier erschienen, Vivian. Du hättest nicht kommen sollen. Ich habe deinen Großonkel ebenfalls gewarnt, aber er hat nicht auf mich gehört. Er ignorierte meine Worte, denn er wollte seinen Kopf durchsetzen, wie er es gewohnt war.« Der Mönch hob die Schultern.
»Aber er hat nicht mit meinem Widerstand gerechnet. An mir wird er sich die Zähne ausbeißen, das habe ich ihm mit aller Deutlichkeit erklärt. Er hat nur gelacht und meinte, daß das Kreuz bei ihm besser aufgehoben war. Er ahnte nicht, welche Kräfte in ihm steckten. Daß sie sich all die langen Jahre gehalten haben, denn der alte Keltengott Lug ist nicht tot. Es gibt ihn noch, verstehst du?«
Vivian konnte nicht sprechen. Sie schüttelte den Kopf.
Der Abt redete weiter. »Ich habe mich mit der Mythologie beschäftigt. Der größte Teil meines Wegs lag hinter mir. Ich bin der wahre Herrscher der Insel, und ich habe auch meine Mitbrüder in den Bann des Götzen ziehen können. Sie merkten es nur nicht. Sie veränderten sich schleichend, doch bei allen ist bereits das Zeichen zu sehen.«
»Die Kreuze in den Augen!« stieß Vivian hervor.
»Genau. Du kennst sie?«
»Sicher.«
»Sehr schön.«
»Was bedeuten sie denn?«
»Den Sieg, Vivian. Den Sieg des alten Keltengotts über das Christentum. Nicht mehr und nicht weniger. Er hat gewonnen. Er hat das Kreuz besiegt. Er hat es durch seine alte Götterkraft umdrehen können. Es ist sowohl ihm als auch dem Christentum gewohnt, und er hat es geschafft, sich in das alte Kreuz zurückzuziehen. Es ist zu seiner Heimat geworden, und er hat schon längst zu missionieren begonnen. In seinem Sinn, versteht sich.«
»Sie sind davon betroffen?«
»Als erster. Ich habe diese Mission weitergeführt. Meine Brüder hier im Kloster sind ebenfalls davon betroffen. In der folgenden Nacht werden sie spüren, wie stark der Gott Lug ist. Da werden sie endgültig zu seinen Dienern werden.«
»Was haben Sie damit zu tun?«
»Ich werde zu ihm gehen.«
»Zum Kreuz?«
»Ja. Und wenn wir stark genug sind«, er beugte sich vor und lächelte kalt, »dann sind die anderen Menschen an der Reihe. Dann werden wir sie missionieren. Oder muß ich dir noch sagen, daß diese Insel von zahlreichen Menschen besucht wird, die hier ihre Erbauung und auch Erholung finden wollen?«
»Nein, das ist nicht nötig.«
»Gut, dann weißt du ja jetzt, wie meine Pläne aussehen.«
Vivian Cameron nickte. »Ja«, gab sie zu, »jetzt weiß ich es – leider. Aber da ist noch etwas. Mein Großonkel hat sieben Männer losgeschickt. Sieben Männer. Sechs von ihnen sind nicht mehr zu ihm zurückgekehrt, aber einer ist…«
»Geflohen«, erklärte der Abt. »Er ist mir leider entwischt. Es war ein Fehler, aber selbst ich bin nicht perfekt. Noch nicht. Aber er hatte schon mit dem Götzen Lug Kontakt gehabt und ist infiziert gewesen. Das solltest du noch wissen.«
»Ja, ich hörte davon. Aber die anderen sechs sind…«
»Tot.«
»Mein Gott!« Vivian erschrak zutiefst. Ihr Gesicht verlor auch noch den letzten Rest von Farbe, weil sie sich einfach nicht vorstellen konnte, daß sechs Männer einfach ermordet worden waren. Hier herrschte kein Krieg, hier wurde nicht mit Granaten geschossen, hier war alles normal.
Und trotzdem sprach der Abt von sechs Toten.
»Wie sind sie gestorben?«
»Ich hatte sie eingeladen.«
»Und ihnen etwas zu trinken gegeben?«
»Ja, wie dir und Sinclair. Nur war die Dosis stärker.«
Vivian Cameron schauderte. Ihr wurde heiß und kalt zugleich, und sie hörte, wie der Abt von und über John Sinclair sprach. Er haßte ihn. Er hatte bereits gespürt, daß er gekommen war, um den anderen gefährlich zu werden.
»Und was ist mit ihm?«
Vivian traute sich kaum, die Frage zu stellen, weil sie Angst vor der
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