Das Kettenlädenmassaker
Silvesterabend.«
Professor Slocombe warf den greisen Kopf in den Nacken und lachte.
Und lachte.
Und lachte noch mehr.
»Köstlich!« sagte er, als er wieder reden konnte. »Und du hast natürlich vollkommen recht! Falls die Schriften wiederauftauchen sollten. Und falls die päpstliche Bulle nie widerrufen wurde.«
»Ich bin sicher, daß diese Bulle nicht widerrufen wurde.«
»Das läßt sich leicht herausfinden, John. Reich mir doch bitte«, der Alte deutete mit dem Finger auf ein Bücherregal, »diesen großen grünen Folianten, ja? Zweites Brett von oben, ganz am Ende, direkt neben dem Schrumpfkopf.«
Omally beeilte sich, dem Wunsch des Professors nachzukommen. Er zerrte und kämpfte mit dem Buch, doch es bewegte sich nicht einen Millimeter.
»Oh, entschuldige«, sagte der Professor. »Mein Fehler.« Er vollführte eine geheimnisvolle Bewegung mit der rechten Hand.
Omally fiel mit dem Buch in den Händen rückwärts auf den Hintern. Er kroch über den Teppich zum Schreibtisch und legte es auf die lederüberzogene Arbeitsfläche.
»Es tut mir leid wegen des kleinen Mißgeschicks«, sagte der Professor. »Diese Bücher sind selbstverständlich geschützt, wie immer.«
»Kein Problem«, erwiderte John und kroch zurück zu seinem persischen Hocker.
Der Professor blätterte durch die Seiten, und seine langen dünnen Finger fuhren über das Papier. Schließlich klappte er das Buch wieder zu.
»Wie mir scheint, hast du Glück gehabt«, sagte er.
» Ja! «sagte John und stieß die Faust gen Himmel.
»Aber selbstverständlich müßtest du erst die Schriftrollen finden, und wenn ich das schon nicht schaffe … nun …«
»Zwei Köpfe sind besser als einer«, sagte John.
»Nicht notwendigerweise.«
»Drei, wenn wir Jim mitzählen.«
»Nein, laß mich aus dem Spiel.« Jim verschränkte unter Schmerzen die Arme.
»Er hat einen schlimmen Tag hinter sich. Morgen ist er wieder der Alte.«
»O nein, bin ich nicht.«
»O doch, bis du doch.«
»Nicht.«
»Doch.«
»Meine Herren!« Professor Slocombe hob beschwichtigend die Hände. »Ob ihr nun wollt oder nicht, zuerst müßt ihr euch um eine andere dringende Angelegenheit kümmern.«
»Müssen wir?« fragte Jim.
»Müßt ihr. Die Polizei.«
»Ah.«
»Ich denke, ich kann etwas für euch tun. Chefinspektor Westlake von der Brentforder Konstablerei ist ein guter Freund von mir. Wir sind beide Mitglieder der gleichen Loge. Wenn ich ihn um einen persönlichen Gefallen bitte, wird er ihn nicht abschlagen.«
»Sie sind ein Heiliger«, sagte John.
»Noch nicht. Aber der derzeitige Papst zählt ebenfalls zu meinen guten Freunden.«
»Sagen Sie ihm einen schönen Gruß, wenn Sie ihn das nächste Mal treffen.«
»Das tue ich gerne. Aber um noch einmal auf die Polizei zurückzukommen … wahrscheinlich werdet ihr nicht darum herumkommen, Jims Buch zurückzugeben. Hast du es bei dir, John?«
»Hab’ ich.« Er betastete seine Taschen. »O nein. Hab’ ich doch nicht.«
»Er hat es verloren.« Jim warf die Hände in die Luft. »Autsch!«
»Nein, hab’ ich nicht. Ich …« Johns Gedanken kehrten eine Stunde in die Vergangenheit zurück. Zu einem schrecklichen Augenblick. In die Küche der guten Mrs. Bryant. Vor lauter Elend und Verzweiflung hatte er das Buch dort zurückgelassen, auf dem nachgemachten altertümlichen Küchentisch.
»Ach du liebe Güte«, sagte er bestürzt.
Die frisch verwitwete Mrs. Bryant saß nicht an ihrem nachgemachten altertümlichen Tisch in der Küche ihres Hauses, sondern zusammengesunken auf einem Stuhl im Brentford Cottage Hospital. Draußen vor dem Leichenschauhaus.
Im kalten und abstoßenden Büro saß der diensthabende Leichenbeschauer und füllte den Totenschein für Jack Bryant aus.
»Der Patient ist an Blutarmut durch übermäßiges Drücken auf der Toilette gestorben, was zu einem akuten rektalen Prolaps und einer arteriellen Ruptur geführt hat.«
Am unteren Rand des Totenscheins unterzeichnete der diensthabende Leichenbeschauer mit seinem Namen: Dr. Stefan Malone.
Nachdem er unterzeichnet hatte, drehte er sich zur Seite und deutete in einem vergilbten Profil auf ein nacktes Etwas, das unmittelbar außerhalb der Seite auf seiner Untersuchungsbank lag.
»Schmeißen Sie das in eines der Kühlfächer«, befahl er einem Krankenpfleger.
10
Eine goldene Morgendämmerung kam über Brentford. Die Blumen in Professor Slocombes magischem Garten verbargen ihre wunderschönen Gesichter, als die ersten Einwohner der
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