Das Kettenlädenmassaker
beaufsichtigen.«
»Ganz wie Sie meinen, Boß. Und wo genau sollen wir weitergraben?«
»Dort drüben.«
Der offiziell aussehende Gentleman deutete auf die Bank vor der Memorialbücherei.
Wir haben seit geraumer Zeit nichts mehr von diesem anderen, vergilbten Burschen gehört, der immer auf eine Stelle außerhalb des Blattes zeigt. Aber er war die ganze Zeit geschäftig gewesen, und er führte absolut nichts Gutes im Sinn. Dr. Stefan Malone hielt keine Vorlesung an diesem Morgen, noch arbeitete er im Leichenschauhaus des Cottage Hospitals. Er werkelte ganz allein in seinem Kellerlabor, das er im Kether House eingerichtet hatte.
Vielleicht hat der Leser bereits vermutet, daß jemand, der dem Sherlock Holmes auf den Zeichnungen von Sidney Paget zum Verwechseln ähnlich sieht, sogar in den Farben, auch eines von diesen Laboratorien besitzt, die man im allgemeinen bei Irren Viktorianischen Wissenschaftlern (IVW) findet. Man kennt die Sorte von Laboratorien. Überall blubbert es in Retorten, überall messingne Bunsenbrenner, Glaskühler und rote Gummischläuche. Außerdem eine Menge vorindustrieller Elektrizität, funkenstiebende Spulen, polierte Röhren und mächtige Schalttafeln mit den hinlänglich bekannten gigantischen Hebeln.
Aber nichts von alledem.
Weil, sehen wir der Tatsache ins Auge, heutzutage niemand mehr ein Laboratorium von dieser Sorte haben will. Genaugenommen hatte selbst in den damaligen Tagen niemand ein Laboratorium von dieser Sorte. Laboratorien von dieser Sorte wurden in Hollywood erfunden. Und obwohl wir alle Dankbarkeit verspüren, daß Hollywood die Geschichte auf diese Weise umgeschrieben hat — das hier ist nicht Hollywood.
Das hier ist — Gott sei Dank — Brentford.
Und wir in Brentford sind anders.
Dr. Stefan Malones Laboratorium war eine lebende Hölle. Jeder, der einmal eine Photographie von Ed Geins Küche oder Jeffrey Dahmers Badezimmer gesehen hat, kann sich augenblicklich ein Bild machen. Irgend jemand hat einmal gesagt, daß Psychos sich nie das Haar kämmen; nun ja, ihr Geschirr waschen sie auch nicht ab. Und Dr. Stefan Malone war ein Psycho. Ein richtiger Psychopath, alles, was recht ist. Obwohl er sich das Haar kämmte und sein Geschirr abwusch.
Der Vollständigkeit halber soll erwähnt werden, daß der präzise Augenblick zurückverfolgt werden kann, an dem der Genetiker seine geistige Gesundheit verloren und sich in die Umarmung des Wahnsinns begeben hat. Es war der Tag vor fünf Jahren, an dem er seinen Namen von Stephan zu Stefan hat ändern lassen.
Das kam ungefähr so. Dr. Stephan war anläßlich einer Party in Dublin einem gewissen Schreiber Weit Hergeholter Belletristik vorgestellt worden. Dieser Schreiber Weit Hergeholter Belletristik zeigte Dr. Stephan Malone seine Taschenuhr. Die Ziffern auf dem Uhrenblatt waren ausradiert und durch die Buchstaben des Namens dieses Schreibers Weit Hergeholter Belletristik ersetzt. Zwölf Buchstaben, sechs für den Vornamen, sechs für den Nachnamen. Dr. Stephan bemerkte diese groteske Eitelkeit und war, im Gegensatz zu anderen, die es gesehen und mit gewissen (diskriminierenden) Bemerkungen leicht unterhalb der Gürtellinie reagiert hatten, fasziniert davon. Er wußte, daß er auch so eine Uhr haben mußte. Doch damit würde er dreizehn Stellen auf dem Zifferblatt benötigen, und dreizehn war eine Unglückszahl.
Und als ein Mann, der die Welt verändern würde, duldete er keine dreizehn Buchstaben in seinem Namen 12
Hinter all dem steckte eine gewisse kosmische Wahrheit, wenngleich eine von schrecklichem Irrsinn. Der Leichnam des Schreibers Weit Hergeholter Belletristik wurde am nächsten Tag aus dem Fluß gezogen. Seine Taschenuhr ward nie wieder gesehen.
Außer von Dr. Stefan Malone. 13
Zurück in sein Labor.
Es roch schlecht dort unten. Es stank zum Himmel. Es stank nach Tod und Verwesung.
Die Wände waren mit schlecht zusammengebauten Dexion-Regalen vollgestellt. Marmeladengläser standen in diesen Regalen, Marmeladengläser mit Spezimina darin. Menschlichen Spezimina. Eingelegte Teile in Formalin. Hier eine tragisch abgetrennte Hand, die Fingerspitzen von innen am Glas, dort ein paar sezierte Organe, zerbrechlich wie Korallen, in hauchdünne Scheiben geschnitten. Und überall ringsum menschliche Augen, die den Betrachter blicklos und doch vorwurfsvoll aus ihren viel zu großen Marmeladengläsern anstarrten.
Auf dem Boden: Abfall. Zerknitterte Verpackungen, Kartons, leere Dosen und Flaschen, achtlos
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