Das Kind, Das Nicht Fragte
Benjamin?!
– Ja natürlich, alles in Ordnung.
– Nimmst Du Deine Tabletten auch regelmäßig?
– Ja, jeden Morgen.
– Die gegen Bluthochdruck musst Du jeden Tag nehmen, Du weißt das.
– Ja, ich nehme sie vor dem Frühstück, jeden Morgen.
– Bravo! Das ist gut! Und alle zwei Tage die Vitamin-Tabletten!
– Alle zwei Tage, nach dem Frühstück, ich weiß.
– Und kein Aspirin, hörst Du? Nicht jeden Abend ein Aspirin, das ist zu viel! Nur in dringenden Fällen! Hörst Du?
– Absolut, nur in dringenden Fällen und höchstens einmal die Woche.
– Richtig. Was machst Du denn gerade?
– Ich überlege, ob ich mir etwas koche oder ob ich in einem Restaurant zu Abend esse.
– Ernährst Du Dich auch ordentlich?
– Ich ernähre mich perfekt, es ist alles da, was ich brauche, und alles superfrisch, besonders das Obst ist fantastisch.
– Was für ein Obst?
– Zitronen und Zitrusfrüchte, sehr rare, merkwürdige, köstliche Zitrusfrüchte, ich komme gerade nicht auf den Namen. Sie sind riesengroß, größer als Zitronen, richtige Ballons.
– Machst Du Witze?
– Neinnein, ich werde sie fotografieren und euch ein Foto mailen.
– Tu das! Es interessiert mich.
– Und kandierte Früchte, es gibt hier die besten kandierten Früchte, die ich je gegessen habe.
– Iss nicht so viel Süßes!
– Es gibt hier die besten Dolci Siziliens. Ich muss sie kosten, das ist wichtig für meine Forschungen.
– Aber bitte in Maßen, Benjamin, in Maßen!
– Natürlich in Maßen, Du kennst mich.
– Ich kenne Dich ganz genau, mein Kleiner, und ich weiß, dass Du nichts lieber isst als Süßigkeiten. Das ist immer schon so gewesen, Du weißt das.
– Aber ja, ich weiß das genau. Und warum ist es so gewesen, mein Großer?
– Warum?! Ja woher soll ich denn das wissen?!
– Weil ihr vier mir alles weggefressen habt, deswegen. Und hinterher blieb nur der Nachtisch, und den Nachtisch mochtet ihr vier nicht, weil es ja immer schnell gehen musste, das Essen, immer rasch, immer rasch reingeschaufelt. Den Nachtisch habt ihr manchmal sogar stehen lassen, ihr Fresssäcke, und dann habe ich eben den Nachtisch von vieren gegessen.
– Was ist denn plötzlich los, Kleiner?! Du bist ja ganz aufgebracht!
– Ach, lass mich in Ruhe. Ich weiß, was ich zu tun und zu lassen habe, und ich werde so viele Dolci essen, wie ich überhaupt nur essen kann.
– Benjamin! Tu das nicht!
– Hör mal zu, Josef! Diese Stadt hat sieben Apotheken! Ich werde also überleben, wenn es mir einmal schlecht gehen sollte.
– Benjamin, Du verträgst so viel Süßes nicht, und Du kennst auch nicht die richtigen Medikamente, die gut für Dich wären.
– Ich gehe jetzt zu Abend essen, mein Großer! Ich werde versuchen, im besten Restaurant der Stadt noch einen Platz zu bekommen.
Ich werde auf Dich anstoßen und zum Abschluss der Mahlzeit eine doppelte Portion Dolci bestellen.
– Du bist nicht gut drauf, Kleiner! Irgendetwas stimmt nicht mit Dir, ich wittere das.
– Mach es gut, Großer! Was gibt es denn bei Euch zu Abend? Hirse mit Rosinen? Und dazu ein Tröpfchen Multi Sanostol?
– Mein Gott, Du bist wirklich gar nicht gut drauf!
– Sei still, und lass Gott aus dem Spiel!
– Benjamin! Ich erkenne Dich gar nicht wieder!
– Dann versuchen wir es beim nächsten Anruf, das Wiedererkennen! Das beste Restaurant der Stadt heißt »Alla Sophia«, dahin gehe ich jetzt. Mach es gut und Grüße an Deine – wie nennst Du sie immer? – ach ja: Grüße an Deine »Rasselbande«.
Ich beende das Gespräch und atme kurz durch. Den ganzen Ärger des Tages habe ich kanalisiert und bin ihn nun auf einen Schlag losgeworden. Ich ahne, dass Josef jetzt in die Küche seiner Fünf-Zimmer-Wohnung in Köln-Ehrenfeld eilt und seiner Frau von dem Telefonat berichtet. Wahrscheinlich werden sie meinen Bruder Martin sofort informieren, aber Martin wird noch in den Unikliniken arbeiten und deshalb nur kurz zu erreichen sein. Sie werden ein Telefonat zu einem späteren Zeitpunkt vereinbaren, und danach wird Martin mich mit seiner extrem tiefen Stimme anrufen, um mich mit seinen ärztlichen Diagnosen zu schockieren.
Beim Verlassen des Doms hatte ich noch gar nicht vor, ein Restaurant aufzusuchen. Während des Gesprächs mit Josef aber hat der Funke meines Forschungsdrangs
plötzlich wieder gezündet, so dass ich Lust bekam, meine gerade erst in Gang gekommenen Untersuchungen fortzusetzen. Ich habe mit Alberto, dem Buchhändler, einen guten Anfang gemacht,
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