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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Schriftstellern und Autoren anregende Gespräche führen, Bücher vorstellen und präsentieren, ein attraktives Programm komponieren, Begeisterung bei den Mitarbeitern erzeugen, wildfremden Menschen neue Buchideen entlocken. Als er über das alles länger gesprochen und dabei ein ganzes Paket von Tätigkeiten geschnürt hat, die ihm anscheinend sehr liegen, während er sie andererseits nie in seinem Leben ausgeübt hat, kann ich in einem zweiten Schritt der Befragung dazu übergehen, diese offensichtlich starken Wünsche auf Hintergründe hin zu sezieren. Statt nur zu fragen , geht es jetzt darum, vorsichtig, aber genau nachzufragen .

    – Ich kann Wärme erzeugen, verstehst Du? sagt Alberto ganz nebenbei und so, als wäre es selbstverständlich, doch ich frage sofort nach, woher er das weiß. Er antwortet, er folgere es aus der Tatsache, dass viele Freunde gern in kleiner Runde am Nachmittag mit ihm zusammen vor der Buchhandlung säßen. Sie fühlten sich von ihm angezogen, vom Klang seiner Stimme, von seinen Manieren, von seiner Art . Ich frage weiter nach, wie er diese besondere Art beschreiben würde, und er antwortet: Ich spreche niemals von mir, und ich bin sehr zurückhaltend mit meinen Meinungen. Stattdessen spreche ich die anderen oft an und stimuliere sie, dies und das zu erzählen. Ich lasse nicht zu, dass sie einfach nur dasitzen und bei einem Glas Wein vor sich hin träumen. Ich entlocke ihnen ein paar Worte, und ich sorge dafür, dass ein Gespräch entsteht. Ich mag das Schweigen nicht, und ich hasse das Herumsitzen, das ist einfach kein Leben. Eigentlich bin ich nämlich ein enthusiastischer Mensch, ein Mensch, der sich für etwas begeistern kann, das andere schreiben, herstellen oder tun. Ich selbst bin in so etwas nicht besonders groß, sagt er sehr bestimmt, aber ich erkenne etwas Gutes sehr rasch, und ich kann mich dann wirklich dafür begeistern.

    Ich sage, dass die Runde der Freunde hier vor der Tür seiner Buchhandlung doch eigentlich bereits eine kleine Verlagsrunde sei, deren Gespräche er bloß noch dokumentieren müsse.
    – Das wäre dann Euer erstes Buch, sage ich. Die Welt kommentieren, das Leben in dieser Stadt kommentieren, Tag für Tag, in Euren Gesprächen. So etwas könnte ein Bestseller werden, glaube mir.
    Er schaut mich prüfend an, als wolle er herausbekommen, ob ich es wirklich ernst meine.
    – Denk einmal drüber nach, sage ich, die Idee ist gut.

2
    W ÄHREND MEINER Befragung tauchen auf der gegenüberliegenden Seite der Straße immer wieder Männer auf, die zu uns herüberschauen. Zunächst kommen sie allein, bleiben eine Weile stehen, beobachten uns und gehen dann versonnen weiter, als würden sie darüber nachdenken, was sie da gerade gesehen haben. Schließlich kommen sie aber auch in kleinen Gruppen und schauen ganz ungeniert über die Straße, während sie sich nun anscheinend auch laut Gedanken über alles machen, was sie da nun vor Augen haben.

    Ein solches Publikum will ich unbedingt vermeiden, denn ich weiß nur zu gut, wie stark bereits die ferne Anwesenheit von Zuschauern oder der Blickkontakt mit ihnen ein Gespräch beeinflussen kann. Ich unterbreche deshalb die Befragung unter einem Vorwand, bringe meine Utensilien in die Buchhandlung zurück und sage, dass ich eine kleine Pause machen und im Ort noch etwas einkaufen wolle.

    Ich schlendere los, und als ich mich nach wenigen hundert Metern umdrehe, bemerke ich, wie die Männer von
Gegenüber sich längst auf Alberto zubewegen. Zu zweit oder zu dritt schlurfen sie über die Straße und versammeln sich dann vor seiner Buchhandlung, als wären sie dort zu einem festen Termin miteinander verabredet. Ich sehe, dass Alberto ihnen etwas zu trinken gibt und sie anscheinend bittet, sich zu setzen. Sie zögern aber und stehen unschlüssig herum wie kleine Kinder, die auf einen lauten Befehl warten. Alberto tut ihnen dann wohl den Gefallen, denn er gestikuliert stark und rückt entschieden an den Stühlen. Einer nach dem anderen setzt sich dann langsam, aber es gibt zum Schluss dieses seltsamen Empfangs dann immer noch einige, die sich nicht setzen, sondern im Stehen zuhören und reden wollen.

    Ich ahne, was nun geschehen wird. Alberto wird ihnen zu erklären versuchen, was ich hier tue und was ethnologische Forschung ist. Er wird von meiner Studie über Mandlica sprechen und darüber, dass ich Gesprächspartner brauche, um mehr über Mandlica zu erfahren. Seine Zuhörer werden aufhorchen, da bin ich sicher, und

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