Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)
Beispiel, nach innen und nach außen gerichtet. Eine Gegensprechanlage am Eingang, noch modernere Technik als im Gericht oder im Gefängnis. Und die Fenster im Gebäude selbst waren offenbar vergittert – auch das unauffällig, im selben Weiß wie die Fensterrahmen, aber eben doch.
An der Pforte wusste er nicht genau, nach wem er fragen sollte. Er lehnte sich zum Fenster seines Wagens hinaus und sagte in das erwartungsvolle statische Knistern hinein seinen Namen. Da das zunächst nichts zu bewirken schien, begann er sich zu erklären – unbeholfen, vorsichtig, möglichst ohne etwas zu erklären –, aber dann rauschte es plötzlich lauter, und ein Summer ertönte. Mit einer ruckartigen Bewegung bat ihn das Tor herein.
Das war er also: der Ort, von dem Leo erst am Morgen in den Boulevardzeitungen gelesen hatte. Das war die komfortable Fünf-Sterne-Umgebung, in der Felicitys Mörder es sich gutgehen lassen konnte – auf Kosten des Steuerzahlers, für den Fall, dass der Leser das vergessen haben sollte. Offenbar war es eine Art Vergnügungspark, diese Einrichtung, die die Zeitungen lieber nicht mit Namen genannt, die sie dafür aber umso blumiger beschrieben hatten.
Auf dem geteerten Innenhof waren zwei Besucherparkplätze markiert, beide frei, und Leo fuhr auf den ersten von ihnen. Er nahm seine Sachen vom Beifahrersitz und hob dann aus Gewohnheit das Kinn, um im Rückspiegel seine Zähne zu begutachten. Doch sein Blick fiel stattdessen auf seine Wange. Die Wunde brauchte offenbar eine halbe Ewigkeit, um zu verheilen. Darunter entdeckte er eine kleine, stoppelige Fläche, die er beim Rasieren ausgespart hatte. Seine Augen lagen tief in den Höhlen und waren blutunterlaufen.
Seine Zähne waren in Ordnung.
Ein gepflegter schmaler Weg zwischen Blumenbeeten, die mit Rindenmulch bedeckt waren, führte ihn zum Haupteingang. Er betrachtete die fensterlose Tür und hielt nach einer weiteren Gegensprechanlage Ausschau. Während er noch suchte, gab ein Summer die Tür frei.
Im Inneren musste er erneut an eine Schule denken. Leo hatte mit einem Vorraum gerechnet: mit Wärtern, einer Rezeption, irgendetwas zum Unterschreiben. Aber der menschenleere Raum glich mehr einer Eingangshalle mit einer Doppeltür an jeder Wand. Der mit Linoleumplatten ausgelegte Boden glänzte wie frisch poliert, die Wände waren offenbar erst vor kurzem gestrichen worden. Hinter einer der Doppeltüren sah Leo jemanden auf sich zukommen. Der Mann verbeugte sich kurz, deutete durch die Scheibe ein Winken an und wandte sich dann zur Seite; offenbar tippte er einen Code ein. Klackend öffnete sich die Tür, und der Mann trug sein Lächeln hindurch.
»Mr. Curtice?« Das Lächeln des Mannes wurde breiter, und mit drei betonten Schritten durchmaß er den Vorraum. »Ich heiße Bobby«, sagte er, als er vor Leo stand. »Ich hoffe, Sie haben gut hergefunden.«
Bobby trug einen abgewetzten Anzug mit einer etwas unglücklich gewählten Krawatte und Schuhe, die schon länger keine Schuhcreme mehr gesehen hatten. Obwohl er jünger war als Leo, strahlte er eine gewisse Autorität aus: die Selbstsicherheit und die tiefe Stimme eines arbeitslosen Schauspielers. Oder eines Lehrers oder Sozialarbeiters. Jemand, dem die meisten Erwachsenen mit Skepsis begegnen würden, auf den Kinder aber wahrscheinlich flogen.
»So einigermaßen.« Leo erwiderte Bobbys enthusiastischen Händedruck. »Obwohl ich fast die Einfahrt übersehen hätte.«
»Gut.« Bobby nickte. »Das ist mehr oder weniger so gewollt.« Sein Lächeln war zwar nie verschwunden gewesen, schien sich jetzt aber irgendwie aufzufrischen. »Kommen Sie mit. Hier entlang. Daniel wartet schon auf Sie.«
Leo zögerte, und Bobby begriff offenbar sofort, warum.
»Wir sprechen die Jungen mit ihrem richtigen Namen an«, sagte er. »Wir halten es für wichtig, dass sie sich damit auseinandersetzen, wer sie sind. Warum sie hier sind.« Er blinzelte und neigte ein wenig den Kopf. »Kommen Sie mit.« Sie verließen den Vorraum durch eine andere Doppeltür und standen gleich darauf vor einer weiteren. Bobby wartete, bis die erste sich geschlossen hatte, und tippte dann einen Code in die Tastatur an der Seite. »Man gewöhnt sich daran«, sagte er. Dann drückte er beherzt gegen einen der beiden Türflügel und hielt ihn für Leo auf. »Nach Ihnen.«
Im nächsten Flur wartete ein Mann mit einem Namensschild und einer Kombination aus Hose und Hemd, die möglicherweise eine Uniform war; Leo konnte es nicht genau
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