Das Kind der Rache
legen.« Sie
stand auf. Lisa blieb sitzen.
»Ich komme nicht mit«, sagte sie mit tränenerstickter
Stimme.
Ihr Vater betrachtete sie mit einem liebevollen Blick. »Ich
kann verstehen, wie dir zumute ist«, sagte er mit sanfter
Stimme. Seine Augen hefteten sich auf Carol. Er lächelte.
»Womit auch du von der Teilnahme am Spähtrupp entbunden
bist.«
Carol machte ein schuldbewußtes Gesicht. »Wenn du willst,
bleibe ich hier.«
Jim ging zur Tür. »Ich bin gleich zurück. Ich will nur sehen,
ob ich die beiden etwas aufmuntern kann. Okay?«
Carol begleitete ihren Mann zur Haustür. Sie drückte ihm
einen Abschiedskuß auf die Wange. »Es tut mir leid«, flüsterte
sie. »Ich habe vorhin die Nerven verloren. Bitte verzeih.«
»Schon vergessen«, sagte Jim. Er hatte die Schwelle
überquert und sprach mit ihr durch den Türspalt. »Und noch
etwas. Bis ich zurückkomme, dürft ihr für niemanden die Tür
öffnen.«
Dann war er fort. Carol ging in die Küche. Das Warten begann.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Es dunkelte, als Alex von der Middlefield Road abbog. Die
Hügel von La Paloma kamen in Sicht. Er schaltete die
Scheinwerfer ein. Ob er heute nacht wohl von Dr. Torres
träumen würde? Wahrscheinlich nicht. Überhaupt war es nicht
sicher, ob er die kommende Nacht noch erleben würde. Wenn
er von Mrs. Lewis und Mrs. Benson träumte, die er ermordet
hatte, hatte er so etwas wie Bedauern empfunden. Für Dr.
Torres würde es keine solchen Empfindungen geben, nicht
einmal im Traum. Wie kam es, daß er überhaupt Gefühle für
die Ermordeten hatte? Verbarg sich ein Rest von Alex in den
Mikroprozessoren, die ihm eingepflanzt worden waren?
Wie heiße ich?
Alejandro.
Das war der Name, den Dr. Torres ihm gegeben hatte. Was
er an Erinnerungen besaß, waren die Erinnerungen von
Alejandro. Die Empfindungen des jungen Mannes, der einst
diesen Namen getragen hatte, waren bei der Programmierung
allerdings ausgespart worden.
Warum Dr. Torres die Programme nur unvollständig
übertragen hatte? Offensichtlich, um ihn, Alex, nicht in
Konflikte zu stürzen. Gefühle schufen eine Hemmschwelle.
Und Hemmungen konnte ein Mörder nicht gebrauchen. Als
Alex die Frauen tötete, für die Torres so großen Haß empfand,
waren sie ihm wie Fremde erschienen. Alejandro hatte nicht
gezögert, die Fremden zu töten.
Warum sollte er auch Skrupel haben? Für Alejandro waren
sie die Lebensgefährtinnen von Räubern und Mördern. Sie
trugen eine Mitschuld an den Verbrechen, die ihre Männer
verübt hatten.
Die Scheinwerfer hatten die Büsche und Bäume eines Parks
erfaßt. Sein Vater hatte Alex erzählt, daß er in diesem Park als
Kind gespielt hatte. Er selbst hatte keine Erinnerung daran.
Sein Gedächtnis bestand aus den Erinnerungen, die Raymond
Torres in seinen Jugendjahren empfangen hatte. Torres' Mutter
hatte ihrem Sohn verboten, in der Grünanlage zu spielen.
»Menschen unserer Rasse sind in diesem Park nicht
willkommen«, hatte sie zu ihrem Sohn gesagt. »Nur für Gringos. Da, lies!« Sie hatte auf das Messingschild gedeutet,
dessen Inschrift an die amerikanischen Siedler erinnerte, die La
Paloma nach Unterzeichnung der Verträge von Guadalupe
Hidalgo von den Mexikanern übernommen hatten. Und dann
hatte sie den kleinen Ramon an der Hand genommen und
weggezerrt.
Alex lenkte den Wagen an den Straßenrand. Der Park war
menschenleer. Er ging über den Rasen, bis er vor der Schaukel
stand. Er gab der Schaukel einen Stoß mit dem Fuß.
Er wartete, bis das Brett wieder zum Stillstand gekommen
war. Dann fielen ihm der Mann und die Frau ein, die in dem
Haus am Hacienda Drive wohnten und sich für seine Eltern
hielten. Er würde ihnen einen Besuch abstatten. Er wandte sich
von der Schaukel ab und kehrte zu seinem Wagen zurück.
Er passierte die Plaza. Die Erinnerungen, die von Alejandro
auf ihn übergeflossen waren, beschlichen ihn. Nur mit Mühe
gelang es ihm, die fremden Gedanken zu verdrängen.
Er fuhr weiter und umrundete das Rathaus. Der kleine
Friedhof der ehemaligen Missionsstation kam in Sicht.
Würden sie ihn auf diesem Friedhof zur ewigen Ruhe
betten? Oder würden sie ihn auf dem Hügel oberhalb der
Hazienda begraben, wo die Gebeine seiner Mutter und seiner
Schwestern vermoderten?
Sie würden ihn auf dem Friedhof der Missionsstation in die
Erde senken, daran bestand kein Zweifel. Sie mußten das tun.
Für sie war er Alex, nicht Alejandro.
Er stoppte den Wagen, stieg aus und ging
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