Das Kind der Rache
war
ihr klar, daß sie keine andere Wahl hatte, als ihren Mann erneut
ärztlicher Hilfe anzuvertrauen. Seit drei Tagen trank er wieder.
Zuerst Bier, dann Bourbon. »Ich werde tun, was nötig ist. Laß
uns jetzt bitte allein, Kate.«
»Ich bleibe hier«, sagte Kate. »Ich möchte dir helfen.« Aber
Marty schüttelte den Kopf.
»Nein, ich mache das allein! Wenn du in ein paar Stunden
zurückkommst, ist alles wieder im Lot. Geh jetzt!«
Kate wollte etwas entgegnen, aber dann überlegte sie es sich
anders. »Einverstanden«, sagte sie. »Ich verschwinde. Aber
eines sage ich dir! Bevor ich wieder nach Hause komme, werde
ich anrufen, um mich zu vergewissern, daß Vater ausgezogen
ist. Wenn er noch hier ist, brauchst du nicht mit mir zu
rechnen.«
»Ich verbiete dir, das Haus zu verlassen, Kate!« schrie Alan
Lewis. »Wenn du auch nur einen Schritt über die Schwelle
machst, kannst du was erleben!«
Kate kümmerte sich nicht um seine Drohungen. Sie ging in
den Patio hinaus und schlug die mit einem feinen Drahtgitter
bespannte Tür hinter sich zu. Marty sah ihrer Tochter nach, wie
sie den Garten durchquerte und auf die Straße einbog. Alan
Lewis warf seiner Frau einen feindseligen Blick zu. »Jetzt hast
du ein verdammtes Durcheinander angerichtet«, schimpfte er.
»Es gehört sich nicht, daß die Mutter die Tochter gegen den
Vater aufhetzt.«
»Ich habe das Mädchen nicht gegen dich aufgehetzt«,
fauchte Marty. »Kate haßt dich nicht, sie hat dich sogar sehr
lieb. Allerdings nicht, wenn du trinkst.«
»Wenn ihr mich wirklich lieb hättet...«
»Ich kann's nicht mehr hören! Was geschehen ist, ist nicht
Kates Schuld. Es ist auch nicht meine Schuld. Du allein trägst
die Verantwortung für alles! Hörst du, was ich sage, Alan? Du
hast schuld!« Sie stürmte aus der Küche und schloß sich im
Schlafzimmer ein.
Sie warf sich aufs Bett und dachte nach. Es war jetzt wichtig,
daß sie ihre Selbstbeherrschung zurückgewann. Es führte zu
nichts, wenn sie ihren Mann anschrie. Sie mußte mit
Überlegung vorgehen, nur so ließ sich das Knäuel entwirren.
Sie wußte, wie es weitergehen würde. Innerhalb von ein oder
zwei Minuten würde Alan kommen und mit beiden Fäusten
gegen die verschlossene Tür hämmern. Er würde sie erst um
Vergebung bitten und dann wieder mit wüsten Drohungen
überziehen. Und dann würde sie tun, was sie schon so oft getan
hatte. Sie würde ihn überreden, sich zu einer Entziehungskur in
das Krankenhaus in Palo Alto zu begeben. Sie würde ihm
anbieten, daß sie ihn dort hinbegleitete. Wenn es ganz schlimm
kam, blieb ihr nichts anderes übrig, als den Krankenwagen zu
rufen, der Alan abtransportieren würde. Das war schon einmal
nötig gewesen, und Marty betete, daß es sich nicht wiederholen
würde.
Sie ging ins Bad und wusch sich das Gesicht mit kaltem
Wasser. Sie war sicher, daß ihr Mann in den nächsten Sekunden draußen, vor ihrer Schlafzimmertür, auftauchen würde.
Der alte Streit würde wieder beginnen. Diesmal würde es nicht
um Kate gehen, sondern um Alan und um seine Trunksucht.
Fünf Minuten verstrichen. Nichts geschah.
Schließlich verließ sie das Schlafzimmer und trat auf den
Treppenabsatz hinaus. Sie beugte sich vor und lauschte.
»Alan?« rief sie.
Er gab keine Antwort.
Sie ging die Treppe hinunter und rief noch einmal seinen
Namen. Als sie keine Antwort bekam, eilte sie in die Küche.
Sie war darauf gefaßt, ihn besinnungslos am Boden liegend
vorzufinden.
In der Küche war niemand.
Was nun? Marty schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und
dachte nach.
Ob er fortgefahren war? Nein, das hätte sie hören müssen.
Sicherheitshalber ging sie in die Garage, um nachzusehen.
Beide Wagen standen noch dort.
Ob sie die Polizei anrufen sollte? Besser nicht. Das wäre nur
notwendig gewesen, wenn er im Auto herumfuhr. Solange er
zu Fuß ging, konnte er kein Unheil anrichten. Wahrscheinlich
würde ihn die Polizei völlig betrunken auf irgendeiner Straße
aufgreifen und zu ihr nach Hause schaffen.
Oder aber sie würden ihn ins Krankenhaus bringen.
Vielleicht auch ins Gefängnis.
Inzwischen war ihr das gleichgültig. Sie war nach dem Streit
der vergangenen Tage erschöpft. Diesmal mußte Alan die
Suppe, die er sich eingebrockt hatte, selbst auslöffeln. Sie
würde nicht bei den Freunden herumtelefonieren, um ihn
aufzuspüren. Jedenfalls nicht vor Mitternacht. Wenn er dann
noch nicht zu Hause war, konnte sie immer noch
Erkundigungen anstellen, wo er
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