Das Kind der Rache
steckte.
Sie begann die Küche aufzuräumen. Sie goß die halbe
Flasche Bourbon ins Spülbecken. Dann räumte sie die Flaschen
aus dem Regal.
Nachdem sie den Inhalt weggeschüttet hatte, brachte sie die
leeren Flaschen zur Mülltonne hinter dem Haus.
Eine halbe Stunde war verstrichen. Die Küche war sauber.
Marty machte sich auf die Suche nach den Flaschen, die ihr
Mann im Haus auf verschiedene Verstecke verteilt hatte.
Alex spazierte durch La Paloma, wie ihm Dr. Torres aufgetragen hatte. Bisher war nichts passiert, er hatte keine Erinnerungen gehabt. Die Ortschaft kam ihm mittlerweile
vertraut vor. Die richtigen Häuser an den richtigen Stellen. Er
war eine Stunde unterwegs, als er vor einer Ladenzeile
stehenblieb.
In einem Schaufenster entdeckte er eine Glaskugel, die mit
Wasser gefüllt war. In dem Wasser schwammen ein Büschel
Seegras und eine winzige Garnele. Das Tier lebte. Auf einem
Schild, das vor der Glaskugel lag, wurde erklärt, daß es sich
um ein geschlossenes Ökosystem handelte. Die Kugel war
versiegelt, das Tier konnte innerhalb des geschlossenen
Systems jahrelang überleben. Einzige Voraussetzung war, daß
die Kugel genügend Licht bekam.
Wie mein Gehirn, dachte er. Ein geschlossenes System, aus
dem es kein Entrinnen gibt. Er wandte sich ab und setzte seinen
Spaziergang auf dem La Paloma Drive fort. Wenig später
gelangte er auf die kleine Plaza.
Er blieb stehen, um die mächtige Eiche zu betrachten. Ob er
als Kind einmal auf diesem Baum herumgeklettert war? Wenn
es so war, dann hatte er keine Erinnerung daran.
Und dann begannen sich die Dinge zu verändern. Es ging
ganz langsam. Alex stand da und hielt den Blick auf den
Stamm gerichtet. Alles außer dem Baum lag im Nebel. Es war,
als hätte der Wind die Wolken vom Meer herangetrieben.
Plötzlich war Alex wieder in der Mission Dolores. Vor
seinem geistigen Auge erstanden die wohlbekannten Bilder.
Er sah den Strick. Er sah den Mann, den sie aufgehängt
hatten.
Wer war der Mann?
Reiter waren zu sehen, Soldaten. Sie lachten.
Plötzlich ein scharfer Schmerz, und dann war zu hören, was
er zum ersten Mal auf dem Friedhof in San Francisco
vernommen hatte.
Es waren spanische Worte.
»Sie nehmen uns das Land und unsere Häuser weg. Sie töten
uns. Venganza... venganza...«
Das Echo dröhnte in seinem Kopf. Das Flüstern wurde so
laut, daß Alex sich von dem Baum abwenden mußte.
Sein Blick fiel auf Maria Torres, die nur wenige Schritte von
ihm entfernt war. Sie sah ihn an, dann drehte sie sich um und
ging fort.
Der Nebel war dichter geworden. Alex setzte sich in Bewegung. Er würde der alten Frau folgen.
Die Plaza sah jetzt ganz anders aus als vorher. Alles sah so aus,
wie es vor zweihundert Jahren gewesen war. Alex ging zu
Maria Torres, die auf einer roh gezimmerten Bank Platz
genommen hatte, und setzte sich neben sie. Er hörte, wie sie
etwas auf spanisch sagte, und wunderte sich, daß er jedes Wort
verstehen konnte.
Die Missionskirche war nur einen Steinwurf entfernt, die
weißgekalkten Wände schimmerten im Sonnenlicht. Mönche in
braunen Gewändern waren zu erkennen. Im Schatten des
kleinen Gebäudes saßen drei Indianer.
Neben der Missionskirche befand sich die Schule. Türen und
Fenster waren geöffnet, um frische Luft hereinzulassen. Im
Schulhof spielten fünf Kinder, die von einer Nonne
beaufsichtigt wurden.
In geringer Entfernung war ein kleiner Laden zu erkennen,
der in einem einfachen Holzhaus untergebracht war.
Der Laden bildete einen seltsamen Kontrast zu dem soliden
Mauerwerk der Mission. Während Alex das Holzhaus
betrachtete, ging die Tür auf. Eine Frau kam heraus. Sie sah ihn
an. Er saß da und lauschte den Worten, die Maria ihm ins Ohr
flüsterte. Sie sagte ihm, wie es im Inneren der Kirche aussah.
Sie erklärte ihm, daß es dort buntbemalte Statuen gebe.
Dann sprach sie von den Menschen, die La Paloma gebaut
hatten und diesen Ort liebten, weil er ihre Heimat war.
»Aber sie sind gekommen und haben uns alles fortgenommen. Und nun geh, Alejandro. Geh in die Kirche und
schau dir an, wie sie einmal ausgesehen hat. Überzeuge dich,
wie La Paloma früher war.«
Wie in einem Traum stand er von der Bank auf und überquerte die Plaza. Kühle umfing ihn. Das Licht fiel durch zwei
bunte Glasfenster herein. Und dann sah er die Heiligen, von
denen Maria ihm erzählt hatte. Er näherte sich einer der
Statuen und zündete eine Kerze an, dann verließ er die Kirche.
Maria Torres saß immer
Weitere Kostenlose Bücher