Das Kind der Rache
Vermerk Anästhesie: SPTL aufgedruckt hatte.
Einige Sekunden lang betrachtete er die vier Buchstaben,
dann wanderte sein Blick zu dem Gerät, das auf einem
Tischchen an der Wand stand. Ein IBM-Schreibautomat. Alex
kam eine Idee, die er sogleich verwirklichte. Er schob das
Kärtchen in den Automaten und drückte auf die Korrekturtaste.
Als die Maschine die Karte wieder freigab, waren die vier
Buchstaben durch einen Negativvermerk ersetzt worden. Dr.
Torres' Anweisung für den Test lautete jetzt so:
Anästhesie: keine.
Als der technische Leiter des Testlabors wenige Minuten
später sein Büro betrat, war Alex in das Studium eines
Katalogs für Laborausrüstungen vertieft. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Dr. Bloch zu seinem Schreibtisch
ging und das Kärtchen aufnahm.
»Du hast ihn also doch rumgekriegt, daß er's macht«, knurrte
er.
Alex legte den Katalog aus der Hand und sah ihn an. »Zu
was rumgekriegt?«
Dr. Bloch zog eine Grimasse. »Reden wir nicht mehr drüber.
Aber wenn der Test heute nicht so abläuft, wie du es dir
erwartest, dann mach mir keine Vorwürfe. Beschwere dich
notfalls bei unserem genialen Klinikchef. Und jetzt komm.«
Zwanzig Minuten später war Alex auf der Untersuchungsliege festgeschnallt. Die Elektroden waren an seinem
Schädel festgeklemmt worden. »Ich hoffe nur, daß du es dir
nicht plötzlich anders überlegst, wenn der Test schon läuft«,
sagte Dr. Bloch. »Ich habe keine Ahnung, was mit dir
geschehen wird, aber angenehm wird es sicher nicht.« Er
wandte sich ab und ging zum Kontrollpult, wo er eine Reihe
von Hebeln und Knöpfen betätigte.
Das erste, was Alex wahrnahm, war ein merkwürdiger
Geruch, der in den Raum zu strömen schien. Zuerst roch es
nach Vanille, aber dann verschwand die Süße und machte
einem beißenden Gestank wie auf einer Müllhalde Platz.
Ich bilde mir die Gerüche nur ein, sagte sich Alex. In
Wirklichkeit rieche ich gar nichts.
Plötzlich waren Laute zu hören. Es folgten Empfindungen
von Hitze.
Alex hatte zu schwitzen begonnen, als das Geräusch auf
einen Pegel anschwoll, der seine Trommelfelle zu sprengen
drohte.
Die Hitze stieg an, und plötzlich hatte Alex das Gefühl, daß
ihm ein glühendes Eisen auf die Genitalien gepreßt wurde.
Es roch süßlich nach verschmortem Fleisch. Hilflos wand
sich der Junge in den Riemen, die ihn gefesselt hielten.
In seinem Kopf hallte das Echo eines Schreis. Es war seine
eigene Stimme.
Plötzlich wurde das glühende Eisen fortgenommen. Kälte
erfüllte den Raum. Alex sah die Schneeflocken wirbeln. Er
hörte den Sturm heulen.
Auf einmal verspürte er einen leichten Stoß an seinem linken
Bein.
Die Berührung wiederholte sich im Abstand von einigen
Sekunden.
Und dann sah er den Wolf, aus dessen Lefzen schaumiger
Speichel tropfte.
Das Bild verschwand. Während das Wolfsgeheul vom .
Schneesturm davongetragen wurde, spürte Alex, wie sich die
Fänge des Tieres in sein Bein gruben.
Der Biß ging durch bis auf den Knochen. Er konnte spüren,
wie das Blut aus der durchtrennten Arterie sprudelte.
Um ihn Wind, Schnee, Kälte und das Tosen der Elemente.
Und dann ebbte der Sturm ab, der Schmerz wurde von ihm
fortgenommen. Im Schneesturm erschienen farbige Hecken.
Wenig später war Alex von blauem Meer umgeben. Er konnte
spüren, wie das warme Wasser seine Füße netzte. Eine kühle
Brise umfächelte sein Gesicht.
Er trieb dahin auf den Wogen, getragen vom sanften Auf und
Ab der Dünung.
Sekunden später hatte er eine neue Empfindung.
Energie.
Pure Energie wurde in sein Gehirn geleitet.
Plötzlich war alles zu Ende. Es gab kein blaues Wasser
mehr, die kühle Brise hatte sich verflüchtigt. Sein Blick fiel auf
die Decke des Laboratoriums. Dr. Blochs Kopf kam in Sicht.
»Das wäre beinahe ins Auge gegangen«, hörte Alex ihn sagen.
»Als du so laut geschrien hast, hatte ich Angst, du könntest
dich losreißen und dir etwas antun.«
Alex schwieg. Sein Blick war auf die Deckenlampe gerichtet. Er versuchte, sich die Empfindungen einzuprägen, die
er während des Experiments wahrgenommen hatte.
»Es war nicht so schlimm«, sagte er schließlich.
»Nicht so schlimm?« wiederholte Dr. Bloch. »Du hast fast
die Besinnung verloren! Was zum Teufel will Dr. Torres mit
diesem Versuch beweisen?«
»Er will gar nichts beweisen«, sagte Alex. »Mir ist nichts
passiert, es geht mir gut.«
Dr. Blochs Zweifel waren damit keineswegs zerstreut.
»Vielleicht ist dir nichts passiert, aber du hattest
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