Das Kind der Rache
dem Arzt von dem Streit, der sich am Vorabend
zwischen Marsh und ihr entsponnen hatte. »Anscheinend«, so
beschloß sie ihre Schilderung, »ist es ihm gelungen, Alex
davon zu überzeugen, daß es bei dieser Behandlung
irgendwelche düsteren Geheimnisse gibt.«
Dr. Torres stopfte seine Pfeife. Er wartete, bis die ersten
Rauchkringel zur Decke schwebten, dann sagte er: »An den
Befürchtungen Ihres Mannes ist ein Körnchen Wahrheit. Es
gibt zwar keine düsteren Geheimnisse, aber es gibt
Schwierigkeiten. Ich habe vor, Alex zur Beobachtung in die
Klinik zurückzuholen.«
Ellen meinte, ihr müßte das Herz stehenbleiben. »Was
wollen Sie damit sagen?« stammelte sie. »Ich dachte... ich war
sicher, er ist auf dem Wege der Besserung.«
»Das ist er auch«, sagte Dr. Torres. »Aber es gibt eine Reihe
von Reaktionen, die ich nicht verstehe. Der stationäre
Aufenthalt soll dazu dienen, diese Unsicherheiten zu
beseitigen.« Er veränderte seine Kopfhaltung, sein Blick wurde
schärfer. »Jedenfalls muß Alex wieder in die Klinik.
Er wird hierbleiben, bis ich herausgefunden habe, was mit
ihm los ist. Ich werde dann die weiteren Maßnahmen veranlassen.«
Ellen schloß die Augen, als könnte sie damit die Gedanken
verjagen, die wie ein Schwärm hungriger Krähen über sie
herfielen. Wie konnte sie Marsh den Entschluß des Arztes
verständlich machen? Offensichtlich rechnete Dr. Torres damit,
daß sie Alex gleich heute in der Klinik ließ. Würde das nicht
die Vorwürfe bestätigen, die Marsh gegen Dr. Torres
ausgesprochen hatte? Hatte Marsh nicht angedeutet, daß
Raymond bei der Operation einen Kunstfehler begangen hatte?
Und hatte dieser nicht gerade zugegeben, daß ihm in der Tat
ein Irrtum unterlaufen war? Nachdem sie sich Dr. Torres'
Worte ins Gedächtnis gerufen hatte, wurde ihr klar, daß er es
vermieden hatte, von eigenen Verfehlungen zu sprechen. Er
hatte nur gesagt, daß es bei der Behandlung gewisse Probleme
gab.
»Würden Sie mir sagen, worin die Probleme bestehen, durch
die sich die Genesung meines Sohnes verzögert?« fragte sie
mit zitternder Stimme.
»Nichts Ernstes«, versicherte ihr Dr. Torres. »Wahrscheinlich mache ich mir völlig unnötige Sorgen. Aber bis ich
Gewißheit habe, möchte ich Alex hier unter Beobachtung
halten.«
Ellen drehte an ihrem Ehering. Sie wußte jetzt schon, daß sie
dem Druck, der von Dr. Torres ausging, nachgeben würde.
»Ich weiß nicht«, flüsterte sie, »ob Alex damit einverstanden
ist, wenn ich ihn heute zur stationären Behandlung in der
Klinik lasse.«
»Wir brauchen die Zustimmung des Jungen nicht, um ihn in
der Klinik zu behalten«, antwortete Dr. Torres. »Und wir
brauchen dazu auch nicht die Zustimmung Ihres Mannes.« Er
konnte ihr anmerken, daß er sie noch nicht überzeugt hatte.
»Sie wissen doch, Ellen: Alles, was ich tue, geschieht in Alex'
Interesse.«
»Aber hat das nicht noch einen Tag Zeit?« bettelte sie.
»Können Sie mir nicht vierundzwanzig Stunden geben, um
Marsh von der Notwendigkeit der stationären Behandlung zu
überzeugen? Wenn ich heute ohne meinen Sohn nach Hause
komme, bekomme ich mit meinem Mann die größten
Schwierigkeiten.«
Raymond Torres dachte über das Gespräch nach, das er am
Vormittag mit seinem Anwalt geführt hatte. Dieser hatte ihm
zu einem Kompromiß mit den Eltern des Jungen geraten. »Ich
glaube auch, Dr. Torres, daß die von den Eltern unterzeichnete
Vollmacht in letzter Instanz für gültig erklärt wird. Aber
vergessen wir nicht, daß der Vater des Jungen selbst Arzt ist.
Er kann sicher erreichen, daß die Vollstreckung des Urteils
durch eine einstweilige Verfügung ausgesetzt wird. Man muß
dann warten, bis der Fall auf höherer Ebene entschieden ist,
aber dann ist es zu spät. Ich weiß, Dr. Torres, daß Sie
Kompromisse hassen, aber in diesem Fall rate ich Ihnen, den
Eltern etwas entgegenzukommen. Wenn Sie keinen Druck
ausüben, könnte es sein, daß sie Ihnen den Jungen freiwillig
geben.«
»Einverstanden«, sagte er zu Ellen, »wir machen heute nur
die Tests, aber morgen möchte ich, daß Sie mir Alex
herbringen und hierlassen. Sie haben vierundzwanzig Stunden,
um Ihren Mann zu überzeugen.«
Alex war zu Dr. Blochs Büro gegangen, das an das Laboratorium angrenzte. Man hatte ihm bedeutet zu warten. Weil er
sich langweilte, inspizierte er die Papiere, die auf dem
Schreibtisch lagen. Er entdeckte ein Kärtchen, auf dem ein
Schreibautomat den Namen Alex Lonsdale und den
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