Das Kind der Rache
Ohren. Das
Tier wand sich vor Wohlbehagen. »Und jetzt sag mir bitte,
welche Instrumente du verwenden willst, um das Gehirn dieser
Ratte zu sezieren.«
Alex sah seinen Vater an. »Woher weißt du, daß ich an der
Ratte eine Gehirnoperation vornehmen will?« fragte er.
»Ich bin vielleicht kein Genie«, erwiderte Marsh, »aber ich
kann zwei und zwei zusammenzählen. Gestern hast du mir
gesagt, daß du nach den Gehirnverletzungen, die du erlitten
hast, eigentlich tot sein müßtest. Und nun finde ich dich bei der
Lektüre eines Fachbuches über Gehirnanatomie vor. Die Ratten
hast du wohl auch nicht aus Zufall aus der Schule
mitgenommen. Es ist mir natürlich bekannt, daß Ratten
bevorzugt als Versuchstiere bei Vivisektionsexperimenten
benutzt werden.«
»Also gut«, sagte Alex, »du liegst richtig. Ich möchte die
Ratten operieren. Ich möchte feststellen, was mit den Tieren
passiert, wenn ich so tief in ihr Gehirn einschneide, wie es Dr.
Torres bei mir getan hat.«
»Du meinst, du willst sehen, ob die Ratten das überleben«,
sagte Marsh. Sein Sohn nickte. »Dann schlage ich vor, daß du
dieses Experiment im Labor des Medical Center durchführst.
Ich werde dir dabei helfen.«
»Du würdest mir wirklich bei meinem Experiment helfen?«
vergewisserte sich Alex.
»Natürlich. Wenn ich das nicht tue, dann sterben deine
Ratten schon beim ersten Schnitt, den du machst.«
Als Marsh mit seinem Sohn wenige Minuten später ins
Erdgeschoß des Hauses zurückkehrte, stand Ellen am
Spülbecken. Sie sah, daß Alex den Käfig mit den Ratten in der
Hand trug, und bedachte ihn mit einem anerkennenden
Lächeln. »Jetzt sind wir uns wenigstens darüber einig, daß
solche Tiere nicht ins Haus gehören«, sagte sie, in der
Hoffnung, sie könnte mit dieser Bemerkung die Spannung
zerstreuen, die sich während der Unterhaltung beim
Abendessen aufgebaut hatte.
»Wir bringen die Tiere ins Labor«, erklärte Marsh. »Es kann
sein, daß wir eine Weile dortbleiben.«
Ellen quittierte den Hinweis mit einem Stirnrunzeln. »Was
wollt ihr denn zu so später Stunde noch im Labor? Dort ist
doch jetzt niemand mehr.«
»Wir werden da sein, und damit ist das Labor nicht so
menschenleer, wie du glaubst«, erwiderte Marsh. Während
Ellen noch darüber rätselte, was er und Alex vorhatten,
durchquerten die beiden den Patio des Hauses. Sekunden später
hörte sie, wie das Gartentor ins Schloß fiel.
Schattenloses Licht strahlte aus den Leuchten über dem
Laboratoriumstisch. Marsh hatte ein Narkosemittel für die erste
Ratte vorbereitet. Während er das Tier betrachtete, dachte er
darüber nach, ob die wehrlose Kreatur wohl ahnte, was ihr
bevorstand. Etwas wie Angst spiegelte sich in den Augen der
Ratte. Marsh konnte spüren, wie der kleine Körper in seiner
Hand zitterte. Er wechselte einen Blick mit Alex, der auf der
anderen Seite des Tisches stand. Das Gesicht seines Sohnes
ließ keine Gefühlsregung erkennen. »Die Ratte wird das
Experiment nicht überleben«, sagte Marsh.
»Ich weiß«, sagte Alex in dem kühlen Tonfall, an den Marsh
sich nie und nimmer gewöhnen würde. »Los, gib ihr die
Spritze.«
Marsh stach die Nadel in die Vene des Tieres und preßte die
Flüssigkeit aus dem Kolben. Die Ratte zappelte noch ein paar
Sekunden lang, dann wurde der Körper schlaff. Marsh band
das Tier auf dem Seziertisch fest. Nachdem das geschehen war,
betrachtete er aufmerksam die Illustration, die er in einem der
Bücher, die im Regal des Laboratoriums standen, vorgefunden
hatte. Er benutzte ein Skalpell, um die Kopfhaut der Ratte
aufzuschlitzen. Er begann hinter dem linken Auge und führte
den Schnitt bis zum rechten Auge des Tieres, dann klappte er
die Hautfalte hoch, die durch den Schnitt entstanden war. Er
nahm eine kleine Säge, um die winzige Schädeldecke zu
öffnen. Er arbeitete mit langsamen Bewegungen. Schließlich
lag das Gehirn der Ratte offen. Marsh vergewisserte sich, daß
Herzschlag und Atmung des Versuchstieres noch funktionierten.
»Die Operation wird wahrscheinlich ein Mißerfolg«, sagte
er. »Wir brauchten dazu viel kleinere Instrumente, als sie bei
Eingriffen am menschlichen Gehirn benutzt werden.«
»Es wird viel darauf ankommen, daß wir mit den Schnitten
ganz allmählich in die tieferen Schichten des Gehirns
vordringen«, sagte Alex.
Marsh nickte. Er ergriff das kleinste Skalpell, daß er finden
konnte, und begann die Gehirnhaut der Ratte abzuschälen.
Eine Stunde später waren
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