Das Kind der Stürme
folgte. Ich musste an Fiacha, den Raben, denken. Genauso bewegte er sich immer: Ein wenig vorwärts, ein wenig zurück, hin und wieder an einer oder der anderen Seite verharrend, und dabei vermittelte er den deutlichen Eindruck, dass er Menschen für unglaublich, unerträglich dumm hielt, aber dass es schließlich nun einmal seine Aufgabe war, uns im Auge zu behalten, und er es daher lieber tun sollte. Ich fragte mich, wo Fiacha jetzt steckte. Hockte er auf einem Sims über der Honigwabe und beobachtete den Zauberer Ciarán, der sein Lebensblut aus der Lunge hustete? Oder hatte meine Großmutter ihn verbannt, damit Vater vollkommen allein war? Warum kamen sie zu uns, diese Geschöpfe der Anderwelt, die uns bewachten und uns anleiteten, wie es keine einfache Eule und kein einfacher Rabe je hätten tun können?
Der Vogel flog weiter in die Nacht hinaus und dirigierte mein Pferd vorwärts, den Hügel hinauf und wieder hinunter, durch Marschland und Wald und sicher über die Grenze von Glencarnagh hinaus.
Endlich blieben wir unter kahlen Apfelbäumen stehen. Die Eule hockte über uns auf einem moosigen Ast und zeichnete sich im Mondlicht als Silhouette ab. Ich sah, wie sie sich ein wenig vorbeugte, um ihr Gefieder zurechtzuzupfen. Ich fühlte mich, als hätte man mich aufgehoben, durchgeschüttelt wie einen Bottich Sahne und plötzlich wieder abgesetzt. Mir tat jeder einzelne Knochen weh.
Im Wald rings um uns her war es still. Die Stute stand reglos da. Die Eule gab keinen Ton mehr von sich. Sie wartete darauf, dass ich etwas tat. Ich zwang mich, ruhiger zu werden, und rutschte halb, halb fiel ich vom Rücken der Stute. Meine Beine waren wie Gelee. Ich konnte nur deshalb aufrecht stehen bleiben, weil ich mich mit der Hand immer noch an der Mähne festhielt. Die Stute blieb ungerührt stehen; sie war wirklich ein seltsames Geschöpf.
Vor uns ging es einen sanften Abhang hinab, und dort gab es mehr Bäume, und im weichen Mondlicht glitzerte ein Fluss. Es war noch ein weiteres kleines Licht zu sehen, ein warmes, flackerndes Licht. Ich bemerkte den schwachen Duft nach etwas Nahrhaftem in der kalten Luft: War das etwa Haferbrei? Dann wieherte die Stute leise, und von drunten gab es eine Antwort, ebenfalls ein leises Wiehern. Ich sah, wie jemand neben dem Lagerfeuer aufstand und sich mir langsam zuwandte. Ich lehnte mich fest gegen die Schulter des Pferdes und taumelte vorwärts.
Dann passierten ziemlich viele Dinge ziemlich schnell, ohne dass ein einziges Wort gesprochen wurde. Leise, eilige Schritte und ein verblüfftes Nach-Luft-Schnappen. Ein Arm um mich, der mich bis zum Feuer stützte. Ein Umhang um meine Schultern, angenehm warm. Ich konnte mich nicht hinsetzen, dafür tat mir alles zu weh; dann tauchte eine gefaltete Decke auf, die intensiv nach Pferd roch, und ich wurde in eine halb liegende Position gebettet, so dicht am Feuer wie möglich. Dann klirrte es ein wenig wie Metall, als würde ein Pfännchen benutzt, um ein anderes Gefäß zu füllen, und schließlich bog eine Hand meine erstarrten Finger um einen Becher mit etwas Heißem, Duftendem. Ich wurde von Krämpfen geschüttelt, und meine Zähne klapperten so, dass ich kein Wort hätte sagen können, selbst wenn ich gewusst hätte, was ich sagen sollte. Darragh war am Feuer beschäftigt, warf einen Scheit oder zwei darauf, blies in die Kohlen. Die Flammen wurden größer; mein Gesicht begann zu tauen. Ich trank einen Schluck von dem Gebräu, das er mir gegeben hatte. Es war Tee, sehr heiß und sehr süß. Ich hatte nie zuvor etwas so Gutes geschmeckt. Schließlich setzte sich Darragh mir gegenüber nieder und sah mich direkt an.
»Das ist eine schöne kleine Stute, die du da hast«, stellte er fest. »Du hast anscheinend reiten gelernt, seit du von mir weggegangen bist.«
Einen Augenblick lang war ich sprachlos. War das alles, was ihm einfiel? Aber wenn ich es mir recht überlegte, war es typisch für ihn.
»Wenn ich es mir recht überlege, warst doch du es, der weggegangen ist«, fauchte ich, aber meine Stimme war nur zitternd und jämmerlich. »Aber ja, ich kann inzwischen reiten. Ein wenig. Und das ist gut so, denn ich muss bis zur Morgendämmerung zurück sein.«
Darragh sah mich an. »Tatsächlich?«, sagte er.
»Du brauchst gar nicht so zu tun«, entgegnete ich.
»Wie, Fainne?«
»Als wüsstest du alles am besten. Als hieltest du mich für dumm, weil ich hergekommen bin. Ich weiß nicht, warum ich mir überhaupt die Mühe gemacht habe.« Wieder
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