Das Kind der Stürme
Stück Land. Du meinst also, sie sollten es nicht tun?«
Ich sah ihn stirnrunzelnd an. »Das ist etwas anderes«, sagte ich.
»Wieso anders? Du meinst, weil sie einfache Leute sind, anders als du und der große Herr da drüben?«
»Selbstverständlich nicht! Ich dachte, du würdest mich besser kennen!«
»Das dachte ich auch«, sagte Darragh. »Aber du überraschst mich immer wieder.«
»Es ist anders, weil – weil … ich kann es dir einfach nicht sagen. Aber es ist so.«
»Aha«, sagte Darragh. Wir saßen eine Weile schweigend da. Die Kälte schien von allen Seiten auf uns einzudringen. Der einzige Teil von mir, der halbwegs warm war, waren meine Hände, die ich dicht ans Feuer hielt. Der Rest tat vor Kälte beinahe weh, nicht zu reden von den Schmerzen, die vom Reiten kamen. Ich dachte vage daran, dass ich noch einmal auf das Pferd steigen und vor dem Morgengrauen nach Hause reiten müsste.
Darragh hatte die Arme um die Knie geschlungen und starrte in die Flammen. Er war ernst und feierlich und lächelte gar nicht wie sonst.
»Du hast mich nicht überzeugt«, sagte er.
»Von was?«
»Dass es dir gut geht. Dass ich nicht auf dich aufpassen muss. Ich glaube es einfach nicht. Deine Worte erzählen mir eine Geschichte und deine Augen eine andere. Komm schon. Du kannst mit mir reden. Es gibt zwischen uns keine Geheimnisse. Was beunruhigt dich so?«
»Nichts.« Meine Stimme bebte trotz meiner Anstrengung. »Nichts. Ich sage dir einfach nur, dass du weggehen und nie wiederkommen sollst.«
»Und was wirst du tun, wenn ich weg bin?«
Das Amulett anlegen und tun, was meine Großmutter mir aufgetragen hat, so dass du in Sicherheit bist.
»Wieder nach Glencarnagh reiten und sehen, dass ich in meinem Zimmer bin, bevor sie wissen, dass ich weg war«, sagte ich ihm. »Mit meinem Leben weitermachen. Das geht dich alles nichts an.«
»Ich hätte einen anderen Vorschlag«, sagte Darragh.
Ich schwieg.
»Wir warten bis zum Morgengrauen, und dann setze ich dich auf Aoife und wir gehen beide nach Hause, nach Kerry. Das werden wir tun.«
Dieses schlichte Selbstvertrauen war atemberaubend. Einen Augenblick lang konnte ich nicht antworten. Sehnsucht überwältigte mich beinahe. Wenn ich doch nur hätte Ja sagen können! Wenn ich doch nur nach Hause gehen könnte, wieder zur Honigwabe und zu meinem Vater, wieder zurück zu einer Zeit, in der ich noch verstand, was passierte, und das Schlimmste in meinem Leben darin bestand, den Winter über darauf warten zu müssen, dass Dan Walkers Leute zur Bucht zurückkehrten. Aber ich konnte nicht gehen. Wenn ich am Morgen Großmutters Amulett nicht trüge, würde sie an meiner Seite erscheinen, zornig und auf der Suche nach Antworten. Und sobald ich das Amulett trug, konnte sie mich sehen, wann immer sie wollte. Nach Kerry zurückzukehren, bedeutete den Tod für meinen Vater und für Darragh. Nicht zu tun, was meine Großmutter wollte, bedeutete für uns alle das Ende.
»Ich kann nicht«, sagte ich. »Und überhaupt, was ist mit O'Flaherty und seinen Pferden? Musst du nicht wieder zur Arbeit? Was ist mit Orla?«
Darragh warf einen Ast ins Feuer. »Vergiss O'Flaherty«, sagte er. »Mach dir deshalb keine Gedanken. Ich biete dir an, dich nach Hause zu bringen. Du bist müde, du hast Angst, und du weißt nicht wohin. Ich denke nicht, dass es deinen Vater freuen würde, dich so zu sehen.«
Ich zwang mich zu sprechen. »Ich kann nicht zurück.« Meine Stimme war so kalt wie das Eis in meinem Herzen und brachte meine ungeweinten Tränen zum Gefrieren. »Ihr müsst gehen, du und Aoife. Ich muss hier bleiben. Ich weiß, was ich tue, Darragh.«
Dann sagte er lange Zeit gar nichts, und während das Schweigen andauerte, fing ich an zu gähnen, trotz der Kälte fielen mir die Augen zu, und ich dachte trübe, dass es lange her war, seit ich zum letzten Mal geschlafen hatte. Aber ich durfte mir nicht gestatten zu schlafen. Ich musste immer noch nach Glencarnagh zurück, ich musste …
»Hier«, sagte Darragh. Er hatte noch eine Decke gefunden, nicht viel mehr als ein Streifen Sackleinen, den er vielleicht benutzte, um Aoife warm zu halten, denn ebenso wie die andere Decke roch sie intensiv nach Pferd. »Ruh dich lieber eine Weile aus. Du bist todmüde. Komm, leg dich hin, und ich decke dich zu.«
»Das geht nicht«, protestierte ich durch krampfhaftes Gähnen hindurch. »Ich hab dir doch gesagt … zurück im Morgengrauen … langer Weg …«
»Aoife ist schnell«, sagte Darragh.
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