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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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willst oder nicht. Und du hast Unrecht, was die Magie angeht. Liadan hat mir erzählt, was auf dem Rückweg aus Glencarnagh mit Sibeal passiert ist. Da hast du deine Fähigkeiten genutzt, um etwas Gutes zu bewirken. Und ich bin sicher, es gab auch noch andere solche Gelegenheiten.«
    Ich fürchtete, weinen zu müssen. »Ich habe ein paar sehr schlimme Dinge getan, Onkel.« Es fühlte sich an, als würden die Worte gegen meinen Willen aus mir herausgequetscht. »Schreckliche Dinge, von denen ich hier nicht sprechen kann. Wenn die Familie davon wüsste, würde sie mich ausstoßen, wie sie es mit meinem Vater getan haben.«
    »Ciarán wurde niemals ausgestoßen.« Conors Stimme war ruhig, aber es war immer noch eine Spur von altem Schmerz wahrnehmbar. »Es war seine Entscheidung zu gehen. Er hat einen gefährlichen Weg gewählt. Ich glaube, er hat sie gesucht. Lady Oonagh.«
    »Lady Oonagh?«
    Er zog die Brauen hoch. »Seine Mutter, die Zauberin.«
    »Ist das ihr Name? Ich habe sie immer nur Großmutter genannt.« Manchmal sagt man etwas, und sobald die Worte draußen sind, weiß man, dass man sie nie hätte aussprechen dürfen. Aber es war zu spät, es ungeschehen zu machen. Ich sah, wie Conors Miene sich veränderte; sah, wie die gelassene Ruhe einer Anspannung wich, die beinahe hätte Angst sein können. Ich riss meinen Blick los, schaute wieder auf das Wasser des Sees hinaus, das unter dem schweren Winterhimmel grau und mürrisch aussah.
    »Du …«, brachte er hervor, dann räusperte er sich. »Sag mir, Fainne«, fügte er dann beherrschter hinzu, »war – war deine Großmutter anwesend, während du in Kerry aufgewachsen bist?« Er wählte diese Worte mit äußerster Sorgfalt. Was mich anging, ich hatte zugelassen, dass sich dieses Gespräch in sehr gefährliches Terrain bewegte. Ich hatte die Kontrolle darüber und über mich selbst verloren. So war es nun einmal mit Druiden. Bei meiner Erziehung hätte ich das eigentlich besser wissen sollen.
    »Nein, Onkel. Sie war nur kurze Zeit da. Mein Vater hat mich allein aufgezogen, wie ich dir gesagt habe.«
    »Wenn er geglaubt hat, dass dein Handwerk dich nur zum Bösen führt, warum hat er dich dann unterrichtet?«
    Auf diese Frage hatte ich keine Antwort.
    »Komm«, sagte er. »Es wird kalt. Gehen wir zurück ins Haus.«
    »Ja, Onkel.«
    Wir kehrten schweigend zur Festung zurück. Ich wurde von widerstrebenden Gefühlen hin und her gerissen, von denen eines die Angst vor Großmutters Zorn war, falls sie Zeugin dieses Austauschs gewesen sein sollte. Aber hinter der Angst lag ein viel größeres Entsetzen, dass Conor vielleicht Recht haben konnte. War es möglich, dass ich tatsächlich nicht durch und durch böse war, sondern etwas anderes erreichen konnte? Das war ein grausamer Gedanke. Sicher war es nicht mehr als die unerfüllbare Hoffnung, die Conor auch einmal meinem Vater gegeben und dann wieder genommen hatte. Und dennoch … dennoch, ich hatte Sibeal gerettet. Ich hatte etwas Gutes getan, ohne auch nur darüber nachzudenken. Als wir auf das Haupttor zukamen, wo ein paar Jungen damit beschäftigt waren, den Schnee wegzuschippen, und Mädchen in Schultertüchern Girlanden von Grünzeug über den Eingang hängten, erinnerte ich mich an die Szene auf dem Pferdemarkt an der Kreuzung. Es hatte keinen Grund gegeben, diesen angeblichen Zauberer davon abzuhalten, weiter sein ekelhaftes Spiel zu spielen; es war nicht notwendig gewesen, seine bepelzten und gefiederten Gefangenen freizulassen – wenn man einmal von einem Gefühl dafür, was richtig war, absah. Aber ich hatte es getan. Ich hatte das Amulett getragen, und dennoch hatte ich es getan.
    Der Gedanke, den Conor mir eingegeben hatte, war so schrecklich, dass ich aus ganzem Herzen wünschte, es wäre niemals geschehen. Aber nun saß er fest in meinem Kopf und konnte nicht mehr abgeschüttelt werden. Tatsächlich begriff ich, dass die Wahrheit schon lange zum Greifen nah gewesen war. Von dem Augenblick an, als ich Großmutters kleines Amulett auf diese seltsame Schnur aus vielen Fasern gefädelt hatte, war diese neue Möglichkeit in meinem Geist gewachsen. Etwas in dieser Schnur schien dem finsteren Einfluss des Talismans entgegenzuwirken. Etwas Helles, Schönes. Vielleicht war es Liebe oder Familie, vielleicht beides. Ich war froh, dass es Großmutter nie gelungen war zu lernen, wie man die Gedanken eines Menschen liest – das, was Tante Liadan angeblich so gut konnte. Denn dies war ein Gedanke, von dem

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