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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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sein zu müssen, obwohl ich die Tochter eines Zauberers war, denn all meine Kunstgriffe wogen kaum mein Hinken, meinen ungeschickten Gang und meine lähmende Schüchternheit auf.
    Aber schließlich, dachte ich, als ich der dunkel gekleideten Gestalt meines Vaters den Weg entlang und den Hügel hinab auf die Bucht zu folgte, war ich heute nicht dieses Mädchen, nicht diese Fainne. Stattdessen war ich, was ich wollte. Ich war die andere Fainne; die Magie verlieh mir Anmut, glättete meine Locken zu schimmernder Seide, ließ mich aufrecht und gleichmäßig gehen, zog die Aufmerksamkeit auf meine langen, gebogenen Wimpern und mein bescheidenes, hübsches Lächeln. Dan und Peg und die anderen würden mich in dieser Gestalt sehen und mich bewundern und nicht bemerken, dass sich etwas verändert hatte.
    »Bist du bereit?«, fragte Vater leise, als wir die Leute sahen, die die Tiere und die Wagen schon für den Aufbruch am nächsten Morgen vorbereiteten. Hunde rannten kläffend herum, und Kinder verfolgen einander zwischen Wagen und Ponys und den Beinen der Männer und Frauen, die geschäftig umhereilten. Als wir näher kamen und sie uns sahen, zogen sich die meisten zurück, wie sie es immer taten, und gingen Vater aus dem Weg. Er störte sich nicht daran und marschierte weiter durchs Lager, bis er Dan Walker entdeckte, der damit beschäftigt war, ein Halfter zu flicken. Zwei Jungen brachten gerade ihre Ponys vom Strand herauf, und sie starrten mich an. Ich legte die Hand auf die Hüfte, ganz lässig, und schaute unter meinen Wimpern her zurück, wie ich es bei diesem Mädchen beobachtet hatte, dem mit den Zähnen. Ein Junge senkte den Blick, als wäre er beschämt, und ging weiter. Der andere stieß einen anerkennenden Pfiff aus.
    »Und das hier gibst du in St. Ronan ab«, sagte Vater zu Dan Walker. »Ich bin dir wie immer zu großem Dank verpflichtet.«
    »Keine Ursache. Wir müssen dieses Jahr ohnehin in diese Richtung. Es liegt ganz in der Nähe von Sevenwaters. Und dort kann ich nicht vorbeizeihen, ohne Tantchen zu besuchen. Das würde sie mir nie verzeihen. Sie ist alt geworden, aber ihre Zunge ist noch genau so spitz wie eh und je. Habt Ihr Botschaften für die Leute dort?« Er brachte die Frage wie zufällig auf.
    Vaters Züge wurden beinahe unmerklich starrer. »Diesmal nicht.«
    Ich trat einen Schritt vor, und dann noch einen, und bemerkte, dass Peg und die andern Frauen, die damit beschäftigt waren, frisch gewaschene Kleidung zum Trocknen über die Büsche zu hängen, mich scharf beobachteten, und nun sah ich, dass auch Dans Blick abschätzend auf mir ruhte. Ich wandte mich ab und schaute zum Meer hin.
    »Das Mädchen macht Euch alle Ehre, Ciarán«, sagte Dan. Er senkte die Stimme, aber ich hörte ihn trotzdem. »Wer hätte das gedacht? Eine echte kleine Schönheit ist sie geworden; schlägt wohl der Mutter nach. Ihr solltet ihr bald einen Mann suchen.«
    Dann hielt er inne.
    »Nichts für ungut«, fügte er schließlich hinzu.
    »Das war eine unangemessene Bemerkung«, sagte Vater. »Meine Tochter ist noch ein Kind.«
    Dan sagte nichts mehr dazu, aber ich konnte spüren, wie sein Blick mir folgte, als ich zu der Reihe von Ponys ging, die im Schatten unter den Bäumen angepflockt waren und das raue Gras fraßen. Ich konnte viele Blicke spüren, die mir folgten, und sie waren nicht amüsiert oder mitleidig oder spöttisch, sondern neugierig, bewundernd, fasziniert. Ich fühlte mich sehr seltsam.
    Ich hob die Hand, um die Schnauze eines friedlichen grauen Tiers zu streicheln, und der Junge, der zuvor gepfiffen hatte, tauchte an meiner Seite auf. Er war ein schlaksiger, sommersprossiger Bursche, ein wenig älter als ich. Ich hatte ihn oft mit den anderen gesehen, und wir hatten nie auch nur ein einziges Wort gewechselt. Hinter ihm standen noch ein paar Jungen.
    »Er heißt Silber.« Das wurde beinahe ehrfürchtig vorgebracht, als wäre der Sprecher nicht ganz sicher, wie ich seine Worte aufnehmen würde. Dann schwieg er. Offenbar erwartete er eine Antwort von mir. Es war kein Problem, den Zauber aufrechtzuerhalten, nicht ganz wie ich selbst auszusehen und auch zu sprechen. Dazu genügte meine Technik vollkommen. Aber ich musste mich auch dem Aussehen entsprechend verhalten, die richtigen Worte finden, die Gesten. Und den Mut. Ich steckte die Hand in die Tasche meines Kleids, wiederholte die Worte eines alten Bannspruchs lautlos in meinem Kopf und zog einen verschrumpelten Apfel heraus, der noch nicht in der Tasche

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