Das Kind der Stürme
sie erinnern. Wenigstens an eine Kleinigkeit.«
Riona antwortete nicht. Ihre Gegenwart war dennoch tröstlich. Ich berührte den seltsamen Halsschmuck, den sie trug, und strich über die glatte, kühle Oberfläche des weißen Steins, der auf die Schnur gefädelt war.
»Vielleicht ist es ja besser so«, sagte ich zu ihr oder zu mir selbst. »Vielleicht ist es das Beste, wenn ich es nicht erfahre. Sie war eine von ihnen, sie stammte aus der Familie von Sevenwaters. Ich gehöre zu der anderen Art und bin die Tochter meines Vaters. Am besten sollte ich es nie erfahren.« Aber ich fuhr mit der Hand über die weiche Seide von Rionas Kleid, und als ich einschlief, sah ich die Finger meiner Mutter vor mir, das rasche Aufblitzen der Nadel, als sie das kleine Kleid mit diesen winzigen, gleichmäßigen Stichen genäht hatte. Ein Geschenk für ihre Tochter, damit sie sich erinnern würde, eine kleine Freundin, die mich trösten sollte, wenn sie selbst nicht mehr da war.
Am nächsten Morgen erklärte Großmutter, was sie von mir erwartete.
»Nun, Fainne«, sagte sie und fixierte mich mit ihrem Blick, als ich in meinem schlichten Kleid und den praktischen Schuhen vor ihr stand, die Hände auf dem Rücken verschränkt. »Warum, glaubst du, wollte dein Vater dich nach Sevenwaters schicken? Ist das nicht genau der Ort, den er am liebsten aus seiner Erinnerung tilgen würde? Warum sollte er dich, seine einzige Tochter, mitten ins Feindesland schicken?«
»Ich bin die Enkelin eines Adligen aus Ulster«, sagte ich. »Vater sagte, die Leute von Sevenwaters stünden in unserer Schuld. Er glaubt, ich müsse lernen, mich in solchen Kreisen zu bewegen, da ich hier in Kerry keine wirkliche Zukunft habe.« Ich schauderte. Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht nie zur Honigwabe zurückkehren würde. Dieser Gedanke entsetzte mich. »Ich vertraue ihm«, fuhr ich mit möglichst fester Stimme fort. »Wenn Vater wünscht, dass ich nach Ulster gehe, dann muss das das Richtige für mich sein.«
Großmutter verzog das Gesicht, was ein Netz tiefer Falten in ihrer Haut erweckte. »Dein Vertrauen in Ciaráns Urteilsfähigkeit ist rührend, meine Liebe, aber unbegründet. Seine Entscheidung ist durchaus vernünftig, aber seine Gründe dafür lassen zu wünschen übrig. Ich schreibe das seiner Druiden-Ausbildung zu. Dieser elende Conor hat das zu verantworten. Er und seine Brüder haben meinem Sohn sein Geburtsrecht genommen und ihm dumme Ideen in den Kopf gesetzt, so dass er nun nicht mehr weiß, was was ist. Sie hätten das, was ich mit ihnen gemacht habe, nie überleben dürfen. Aber darum geht es jetzt nicht. Dein Vater hat dir nur die halbe Wahrheit mitgeteilt, Fainne. Ciarán ist krank. Sehr krank. Er schickt dich weg, weil er den Tag schon kommen sehen kann, wenn er nicht mehr hier sein wird, um für dich zu sorgen.«
Ich spürte, wie ich bleich wurde. »Wie bitte?«, flüsterte ich dümmlich.
»Du glaubst mir nicht? Das solltest du aber. Ich bin wirklich diejenige, die es am besten wissen sollte. Ciarán wollte seine kostbare kleine Schülerin nicht hier bei den Fischern lassen, damit sie nur eine weitere Hausfrau mit einer Bande quäkender Gören an ihrem Schürzenzipfel wird. Er kann dich auch nicht bei mir lassen, denn ich komme und gehe, wie es mir passt. Also bleibt ihm nur eine einzige Möglichkeit. Dein Onkel, Lord Sean von Sevenwaters, Conor der Erzdruide und die unzuverlässige Liadan sind die einzigen Verwandten, die du noch hast. Dein Vater sieht keine andere Alternative.«
»Du meinst – du meinst, dieser Husten und dass er so blass ist … das bedeutet, dass er stirbt?« Ich musste mich zwingen, das letzte Wort auszusprechen. »Aber wie kann das sein? Die von unserer Art sind nicht wie gewöhnliche Menschen, wir leben sehr lang – wie kann er dann so krank sein? Er sagt, es ginge ihm gut. Er sagte, es wäre alles in Ordnung und –«
»Selbstverständlich behauptet er das. Aber es gibt ein paar Krankheiten, die die Menschen nicht heilen können, Fainne; es gibt Krankheiten, die selbst den mächtigsten Magier niederstrecken können. Er hat dir nicht die Wahrheit gesagt, weil er wusste, dass du nicht gehen würdest, wenn du es wüsstest.«
»Er hatte Recht«, sagte ich und biss die Zähne zusammen. »Ich werde nicht gehen. Ich kann ihn nicht verlassen. Wie konnte er mir das verschweigen?« Wir hatten einander so nahe gestanden, hatten eine solch lange Zeit vollkommenen Verstehens und wortloser
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