Das Kind der Stürme
ich ruhig. »Niemand außer Vater.«
Großmutter verzog das Gesicht. »Bist du sicher? Keine Freunde? Kein Schatz? Nein, das sehe ich ein. Schade. Du müsstest wirklich üben.«
»Warum? Warum denn? Wovon sprichst du?«
Sie seufzte. »Sag mir, was dir am wichtigsten ist?«
Ich formulierte meine Antwort sorgfältig. »Die Aufgaben, die man mir stellt. Das ist alles, was zählt.«
»Mhm. Klingt einfach, nicht wahr? Du gehst nach Sevenwaters, du schmeichelst dich in den Haushalt, du wirkst deine Magie, und die Aufgabe ist vollendet. Aber was, wenn du dich mit ihnen anfreundest? Was, wenn du sie lieb gewinnst? Dann ist es vielleicht nicht so einfach. In dieser Situation beginnt die wirkliche Prüfung deiner Kraft. Diese Menschen sind eng mit den Túatha Dé verbunden, Fainne. Du wirst keinen von ihnen verletzen können, ohne auch die anderen zu verwunden.«
»Sie lieb gewinnen?« Mein Staunen war ziemlich echt. »Mich mit der Familie anfreunden, die das Leben meiner Mutter zerstört und meinem Vater alle Träume, alle Hoffnung genommen hat? Wie könnte ich?«
»Du wärst überrascht.« Großmutter klang erheitert. »Bei allem, was sie getan haben, sind sie doch keine Ungeheuer. Und du hast hier wenig Menschen kennen gelernt, so, wie du mit Ciarán am Ende der Welt eingeschlossen warst. Er hat dir keinen Gefallen getan, als er dich hierher nach Kerry gebracht hat, Kind. Du wirst sehr schlau sein müssen. Du wirst dich stets erinnern müssen, wer du bist und warum du dort bist, jeden Augenblick eines jeden Tages. Du kannst es dir nicht leisten, in deiner Wachsamkeit nachzulassen, nicht auch nur einen Augenblick. Es gibt gefährliche Leute in Sevenwaters.«
»Woher werde ich wissen –«
»Einige sind harmlos. Einige haben die Macht, dich aufzuhalten, wenn du dich verrätst. Das ist es, was mir zugestoßen ist. Achte darauf, dass dir so etwas nicht passiert, denn das ist unsere letzte Chance. Du wirst dich vor dem Mann mit dem Schwanenflügel hüten müssen.«
»Wie bitte?« Sicher hatte ich sie nicht richtig verstanden.
»Er ist die Gefahr. Er ist derjenige, der die Grenze überschreiten kann, wie es ihm gefällt. Achte auf ihn.«
Ich wollte unbedingt wissen, was sie meinte. Aber so sehr ich an diesem Nachmittag auch versuchte, es herauszufinden, sie wollte mir nichts weiter sagen. Tatsächlich schien sie plötzlich sehr schlecht gelaunt zu sein und begann, mich mit scharfen, wespenhaften Stichen für jeden noch so kleinen Irrtum bei einem Ersetzungszauber zu bestrafen. Ich musste mich ungeheuer konzentrieren, zu sehr, um noch unbequeme Fragen stellen zu können.
In diesem Sommer erfuhr ich, was Schmerzen waren. Die früheren Tricks meiner Großmutter waren nichts verglichen mit den Strafen, die sie nun über mich verhängte, wenn sie mich für trotzig oder störrisch hielt oder wenn sie mich dabei erwischte, wie ich träumte, statt mich meinen Aufgaben zu widmen. Sie konnte Kopfschmerzen verursachen, die sich anfühlten, als befände man sich im Maul eines Erddrachens; sie verursachte Schmerzen, die die Eingeweide in Wasser verwandelten und alles davonrinnen ließen, was ich einmal hätte heraufbeschwören können, um mir zu helfen. Sie konnte einem das Gefühl verursachen, als würde der Bauch mit tausend langen Nadeln durchstochen, und bewirken, dass jedes noch so winzige Stück Haut juckte und brannte und schwärte, bis ich um Gnade schrie. Oder doch beinahe schrie. Sie wusste, dass ich jung war, und sie hörte auf, bevor die Folter unerträglich wurde. Was sie von meiner Kraft oder meiner Willensstärke hielt, sagte sie nicht. Ich erduldete, was sie tat, weil ich keine andere Wahl hatte. Mein Vater hatte nicht wissen können, dass sie mich so behandeln würde, oder er hätte mich nicht ihrer Obhut überlassen. Ich lernte, und ich hatte Angst.
Eines Abends zeigte sie mir etwas, das mich noch viel mehr erschreckte.
»Nur für den Fall«, sagte sie, »dass du daran denkst, es dir anders zu überlegen, sobald du von hier weg bist. Nur um dieses letzte Schimmern von Trotz aus deinen Augen zu tilgen, Fainne. Du glaubst vielleicht, ich hätte dich angelogen; du denkst, es wäre alles ein kunstvolles Lügengebilde. Schau in die Kohlen, dort, wo die Flamme am tiefsten rot glüht. Atme langsamer und schließe alles andere aus, wie man es dir beigebracht hat. Sieh hin und sage mir, was du siehst.«
Aber ich brauchte es nicht in Worte zu fassen. Sie musste das Entsetzen in meinem Gesicht gesehen haben, als ich
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