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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Benutze deine Veränderungszauber, wenn es sein muss. Sei, was du möchtest, Kind. Diese Leute sind nur Hausierer, Fainne. Sie sind nichts.«
    »Ja, Großmutter.« Ihre Worte halfen wenig, um das Brennen in meinem Magen zu lindern. Ich wusste, dass ich stark sein musste. Die Aufgabe, die ich für meine Großmutter erfüllen wollte, ihr schreckliches Rachewerk gegen jene, die die von unserer Art ausgestoßen hatten, musste mit äußerster Willenskraft und Entschlossenheit verfolgt werden. Das Leben meines Vaters lag in meinen Händen. Ich durfte nicht versagen. Ich würde nicht versagen. Dennoch, ich war gerade erst fünfzehn Jahre alt, von Schüchternheit geplagt und überhaupt nicht an die Welt gewöhnt. Dies war es, wie ich annahm, was mich zu einer so subtilen Waffe machte. Ich wirkte offenbar so harmlos wie ein kleines Geschöpf, das bei jeder eingebildeten Gefahr zurück in den Schutz einer Hecke huscht.
    Ich verabschiedete mich von Großmutter. Wenn sie immer noch irgendwelche Zweifel hatte, dann behielt sie sie für sich.
    »Ich wünschte mir beinahe, ich könnte mit dir kommen«, seufzte sie, und einen Augenblick lang erspähte ich etwas von dieser anderen Gestalt, die sie gerne annahm, ein verlockendes, wohlgeformtes junges Geschöpf mit rotbraunem Haar und heller Haut. »Es muss in dieser Gegend immer noch gute Männer geben, obwohl es nie wieder einen wie Colum geben wird. Und ich könnte immer noch mein Netz auswerfen, daran solltest du nicht zweifeln.« Dann war sie abrupt wieder sie selbst. »Aber ich weiß, dass es nicht funktionieren würde. Sie würden mich erkennen, Veränderungszauber oder nicht. Der Druide würde mich erkennen. Und auch dieser andere. Jetzt ist deine Zeit gekommen, Kind. Vergiss nicht, was ich dir beigebracht habe. Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe. Vergiss nichts davon, Fainne.«
    »Jawohl, Großmutter.«
    Wir verließen die Honigwabe an der Stelle, wo der Weg über die Klippen sich bis zum Strand hinunter erstreckte und zum westlichen Ende der Bucht führte, wo Dan Walker und seine Leute sich auf den Aufbruch vorbereiteten. Und dort, gehüllt in einen dunkeln Umhang und mit aschgrauem Gesicht, stand mein Vater und starrte schweigend aufs Meer hinaus. Mein Herz zog sich zusammen.
    »Ich könnte mit dir nach drunten gehen«, sagte Großmutter, »und mich dort von dir verabschieden.«
    Es ist nicht leicht, einen anderen Zauberer zu bannen. Man muss schnell sein, oder man wird auf eine Barriere oder einen Gegenbann stoßen und all seine Anstrengungen verschwenden. Nun ging es ausgesprochen schnell. Im Bruchteil eines Augenblicks, ohne uns auch nur mit einem einzigen Blick zu verständigen, warfen Vater und ich Netze der Unbeweglichkeit über Großmutter, so dass sie von links und rechts festgehalten wurde und wie angewurzelt auf dem Felsen stand, den Mund leicht geöffnet, die Augen in durchdringendem Zorn erstarrt.
    »Sie wird wütend sein«, sagte ich zu Vater, als wir den Weg hinuntergingen. Er hatte sich meine kleine Truhe auf die Schulter geladen, ich hatte eine Rolle mit Bettzeug für die Reise unter den Arm geklemmt. Fiacha flatterte über uns hinweg.
    »Damit komme ich zurecht«, sagte Vater ruhig. Ich warf ihm einen Blick zu und glaubte, den Schatten von Heiterkeit in seinen dunklen Augen zu entdecken. Aber er war dünn, so dünn, und er schien viel älter zu sein als im Herbst zuvor; seine Wangen waren hohl, sein strenger Mund umgeben von neuen Schmerzfalten. »Fainne, wir haben nicht viel Zeit. Geht es dir gut? Es ist sicher eine schlimme Zeit für dich gewesen, eine Zeit großer Veränderungen. Es ist mir schwer gefallen, dich so zurückzulassen; es war schwer, aber notwendig. Bist du bereit für diese Reise, Tochter?«
    Ich ging vorsichtig den schmalen, steinigen Weg entlang. Es hatte geregnet, und die Oberfläche war gefährlich. Fragen rasten mir durch den Kopf. Wie konntest du zulassen, dass deine eigene Mutter mir das angetan hat? Warum hast du mir nicht die Wahrheit gesagt? Und am intensivsten: Werde ich dich je wieder sehen? Ich konnte keine dieser Fragen stellen, denn Großmutter würde es wissen, und dann würde Vater dafür bestraft werden. Ich sehnte mich danach, ihn einfach zu umarmen und mit der ganzen Wahrheit herauszuplatzen und wieder ein Kind in einer Welt zu sein, in der die Regeln einen Sinn ergaben. Ich konnte ihm nichts sagen.
    »Ja, ich bin bereit«, sagte ich und hatte dabei ein seltsames Gefühl hinter den Augen, als würde ich gleich

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