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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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empfand eine seltsame Mischung aus Verlegenheit und Neid. Für diese Leute schien alles so viel einfacher zu sein. Ich mochte das Wasser nicht. Zu Hause war ich nie im Meer geschwommen. Ich hatte in einem kleinen Zuber vor dem Feuer gebadet und das warme Wasser dafür selbst geholt. Und ich hatte es stets in vollkommener Abgeschiedenheit getan. Selbst Großmutter hatte das respektiert. Dennoch, ich wusste, ich war schmutzig und roch nicht so, wie mir lieb war, und ich hatte zwei saubere Kleider in meiner kleinen Truhe. Aber das hier – das war zu schwierig.
    Peg kam aus dem Wasser gestapft. Sie war trotz ihrer vielen Kinder immer noch schlank und wohlgeformt.
    »Komm schon, Mädchen«, sagte sie lächelnd. »Das ist die letzte Gelegenheit, sich vor dem Markt zu waschen. Das Wasser ist gar nicht so kalt, wenn man erst mal drin ist.«
    »Ich – ich weiß nicht …«
    »Komm, Kind, niemand sieht zu. Dort drüben gibt es eine kleine Bucht, da bist du ganz für dich allein. Ich sehe, dass du an so etwas nicht gewöhnt bist. Ich werde Wache halten.«
    Also ging ich mit vor Verlegenheit glühenden Wangen zum Ufer hinunter, getrennt von den anderen durch eine Biegung des Ufers und ein paar Weiden, und zog mich aus, während Peg, die ein frisches Kleid angezogen hatte und nun ihr langes, dunkles Haar kämmte und neu flocht, auf einem umgestürzten Baumstamm in der Nähe saß und die Kinder wegscheuchte, wenn sie zu nahe kamen.
    Das Wasser war eisig. Und was noch schlimmer war, der Seeboden bestand aus weichem Schlamm, und man konnte leicht den Halt verlieren. Und es wurde so schnell tiefer. Ich warf einen Blick zur Seite und sah die anderen Mädchen schwimmen, die braunen Arme glänzten, das nasse Haar hing ihnen wie anmutiger Seetang über die nackten Schultern. Weiter drunten am See hörte es sich so an, als schwängen sich die Jungen von einem Ast aus ins tiefe Wasser. Ich wusch mich, so schnell ich konnte, benutzte die Seife für Körper und Haar und war dankbar, mich von dem Schweiß und dem Dreck der Reise befreien zu können, aber auch verängstigt, dass ich einen Schritt zu weit machen und Hals über Kopf ins Wasser fallen könnte. Peg schaute in die andere Richtung. Ich hätte ertrinken können, bevor es ihr auch nur aufgefallen wäre. Niemand wusste, dass ich nicht schwimmen konnte. Niemand außer Darragh. Hier einfach zu versinken, zu keuchen und dennoch die Lungen nicht mehr mit Luft füllen zu können, wäre ein schrecklicher Tod. Es wäre wie … es wäre genau wie … ich zwang diesen Gedanken unvollendet aus meinem Kopf.
    Als ich herauskam, reichte Peg mir ein Tuch, damit ich mich abtrocknen konnte, und dann war auch Molly da mit einem Kleid, das nicht mir gehörte, denn es war ein buntes Selbstgewebtes mit blauen und grünen Streifen, und über die Schulter hatte sie sich ein Halstuch mit einer keinen Borte aus blauem Band gehängt.
    Ich stand schaudernd da, das Tuch um mich geklammert, das kaum meine Nacktheit bedeckte.
    »Ich habe ein anderes Kleid in meiner Truhe«, brachte ich hervor. »Ich –«
    »Das hier ist einfacher«, erklärte Peg sachlich. »Und das Blau wird dir gut stehen. Heb die Arme hoch, Mädchen. Alles ganz einfach.«
    Sie hatte alles dabei, sogar ein sauberes Hemd und Strümpfe mit blauen Rändern. Als ich angezogen war, drehte Peg mich um und fing an, mir das Haar zu bürsten.
    »Ich –«
    »Schon gut, Kind. Keine Sorge. Was für Locken du hast! Ich habe von diesen Halstüchern noch ein bisschen blaues Band übrig – Moll, sieh doch mal nach, ob du es finden kannst! – und damit können wir dann deinen Zopf binden. Deine Mutter hatte auch schönes Haar. Eine wunderhübsche Farbe, wie dunkler Kleehonig.«
    Ich sagte nichts mehr, als sie geschickt begann, mein Haar zu flechten, und es schließlich mit dem leuchtend blauen Band festband, das Molly aus einem Korb tief im Wagen geholt hatte.
    »So«, sagte Peg, schob mich auf Armeslänge weg und betrachtete mich kritisch. »Gar nicht so übel. Und jetzt waschen wir diese Sachen noch, und dann machen wir uns auf den Weg. Wir werden sie morgen trocken haben. Heute Abend gibt es ein richtiges Lager, ein gutes Feuer und die Gelegenheit, sich ein bisschen auszuruhen und Spaß zu haben. Es wird dir gefallen, Mädchen. Ja, das glaube ich wirklich.«
    Bald schon waren wir wieder auf dem Wagen und holperten durch flache Felder. Es roch ein wenig nach Meer. Die kleinen Mädchen waren seltsam still geworden und starrten mich mit ihren

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