Das Kind des Schattens
Weise verwoben. Mach dir keinen Vorwurf, Diar. Oder wenn du wirklich meinst«, … sie lächelte … »dann nur dafür, dass du glauben kannst, ich würde jemals jemand anderen so sehr lieben wie dich.«
Bei diesen Worten war er mit gefurchter Stirn stehen geblieben und wollte ihr schon eine ernste Antwort geben. Jetzt fragte sie sich, was er wohl hatte sagen wollen, denn sie hatte ihn nicht zu Wort kommen lassen. Stattdessen hatte sie sich auf die Zehenspitzen gestellt, ihre Hände um seinen Kopf gelegt, seinen Mund zu sich herabgezogen, um ihn zu küssen, um ihn vom Reden abzuhalten, um ihn endlich nach seiner Rückkehr vom Meer angemessen willkommen zu heißen.
Und danach hatten sie einander wirklich richtig begrüßt, sie lagen an jenem Strand nördlich von Lisens Turm auf seinem Mantel, streiften ihre Kleider unter den ersten Sternen ab. Er hatte mit einer fast schmerzhaften Zärtlichkeit die Liebe mit ihr vollzogen, er hielt sie in seinen Armen und bewegte sich mit dem sanften Rhythmus des ruhigen Wassers auf ihr. Als sie schließlich aufschrie, war es ein sanfter Laut wie das Seufzen einer Welle, das tief aus ihrem Innersten aufstieg. Und so war es in gewisser Weise auch richtig, dass er nicht neben ihr lag, als sie zum Anor zurückkehrten. Brendel brachte aus dem Turm einen Strohsack für sie, dazu auch Decken, die in Daniloth für Lisen gewebt worden waren, und Diarmuid überließ ihr auch seinen Mantel, so dass sie wenigstens etwas in ihrer Nähe von ihm hatte, als sie einschlief.
Um nur kurz darauf mit allen anderen auf dem Strand aufzuwachen und ein Geisterschiff auf sich zusegeln zu sehen, auf dessen Deck Jaelle, Pwyll und eine bleiche stolze Gestalt standen. Es wurde ihr zu verstehen gegeben, dass dies der Geist von Amairgen Weißast war, dem Geliebten von Lisen, der all diese langen, langen Jahre bereits tot war.
Im Sternenlicht, im letzten Schimmer des untergehenden Mondes waren sie an Bord dieses Geisterschiffes gestiegen, und unsichtbare Seeleute hatten es in See stechen lassen, und während sich ein Nebel über das Meer legte und die Sterne verhüllte, hatten sie ihre Fahrt in Richtung Norden begonnen. Wieder hörte sie Schritte, konnte aber niemanden sehen. Es musste jetzt bereits fast Morgen sein, auch wenn die Zeit noch immer unbestimmbar blieb. So sehr Sharra sich auch bemühte, sie konnte nicht schlafen. Zu viele Gedanken jagten einander in ihrem Kopf. In all der Angst und Traurigkeit, vielleicht sogar aufgrund dieser beiden Gefühle, empfand sie, dass ihre Erinnerungen und Wahrnehmungen schärfer waren als zuvor, so als hätte im Zusammenhang mit dem Krieg alles eine größere Intensität erhalten, und diese Intensität erkannte Sharra als das Bewusstsein des möglichen Verlustes. Sie dachte über Diar und sich selbst nach, die sie jetzt kein einsamer Falke mehr war, und sie bemerkte, dass sie sich mehr als jemals zuvor nach Frieden sehnte, nach einem Ende, das all dem Schrecken in dieser Zeit gesetzt wurde, so dass sie jede Nacht in seinen Armen liegen könne und nicht fürchten müsse, was der Nebel des nächsten Tages bringen würde.
Sie erhob sich, achtete dabei sorgfältig darauf, die beiden anderen, die neben ihr schliefen, nicht zu wecken, und hüllte sich in Diarmuids Mantel. Dann ging sie zur leeseitigen Reling des Schiffes und spähte in die Dunkelheit und den Nebel hinaus. Weiter vorne an Deck hörte sie Stimmen. Auch andere schienen also wach zu sein. Dann erkannte sie Diarmuids spielerischen Ton und einen Augenblick später die kalte, klare Stimme von Amairgen.
»Es ist fast Morgen«, sagte der Magier. »Ich werde jeden Augenblick aus deinen Augen verschwinden. Nur nachts kann ich in eurer Zeit gesehen werden.«
»Und während des Tages?« fragte Diarmuid. »Gibt es irgend etwas, was wir tun können?«
»Nichts«, erwiderte der Geist. »Wir werden hier sein, auch wenn ihr es nicht wisst. Eines aber ist wichtig: Verlasst das Schiff um eures Lebens willen nicht bei Tageslicht.«
Sharra schaute hinüber. Neben Diarmuid und Amairgen stand dort auch Arthur Pendragon. In dem grauen Morgenlicht und dem Nebel sahen alle drei für sie wie Geister aus. Sie machte eine plötzliche Geste, die in alten dummen, abergläubischen Vorstellungen wurzelte, um diesen Gedanken zurückzunehmen. Dann erkannte sie auch Cavall, der ihr im Nebel ebenfalls wie ein grauer Schatten unter Schatten erschien, ein Wesen aus einer übernatürlichen Welt, die von ihrer eigenen schrecklich weit entfernt
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