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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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ihre Fahrt weiter nach Norden entlang der Küste fort, und die Stadt Guiraut verschwand aus ihrem Gesichtsfeld, um bald darauf für immer aus der Welt der Menschen zu verschwinden. Nur in den Liedern wurde ihre Schönheit noch besungen. Bald würde dieses Schicksal sie treffen, und doch war es schon so lange her. Es waren Schlingen im Gewebe der Zeit.
    Der Klang der T’Rena folgte ihnen noch lange, nachdem die Stadt hinter der Krümmung der Bucht zurückgeblieben war. Sie ließen sie hinter sich, überließen sie den Feuern ihrer Zukunft, die gleichzeitig ihre eigene Vergangenheit war, sie hatten keine andere Wahl.
    Danach verdüsterte sich die Stimmung auf dem Schiff, aber es war nicht Furcht, die darin lag, sondern eine neue festere Entschlossenheit, ein tieferes Erkennen, was das Böse war und bedeutete. Die Worte der Männer auf dem Deck nahmen einen härteren Ton an, die Bewegungen, mit denen sie ihre Waffen reinigten und polierten, waren rasch und gewandt, und es lag in ihnen eine noch verborgene Drohung allem gegenüber, was sich ihnen in nächster Zukunft in den Weg stellen würde. Und diese Zukunft nahte heran. Sharra wusste es wohl, und auch sie war bereit. Auch in ihrem Herzen hatte sich diese Entschlossenheit festgesetzt.
    Sie segelten weiter nach Norden entlang der Küste des Sennettstrandes, und als die Sonne am späten Nachmittag noch hoch über dem Meer stand, erreichten sie die nördlichste Spitze von Sennett, umrundeten das Kap, drehten nach Osten und hatten bereits die Gletscher und Fjorde und dahinter das düstere Schwarz von Starkadh vor sich.
    Sharra blickte mit offenen Augen darauf hin und wich dem Anblick nicht aus. Sie schaute auf das Herz des Bösen und setzte ihren Willen darein, sich nicht abzuwenden.
    Natürlich konnte sie sich in diesem Augenblick nicht selbst sehen, aber die anderen konnten es, und über das ganze Schiff hin erklang ein Murmeln des Staunens, wie wild und kalt die Schönheit der Dunklen Rose von Cathal plötzlich geworden war. Eine Eiskönigin aus dem Gartenland war sie geworden, eine Rivalin für die Königin von Rük, die in Strenge und Unnachgiebigkeit mit ihr wetteifern konnte.
    Aber selbst hier, an der Schwelle der Finsternis, gab es noch Schönheit. Weit jenseits von Starkadh erhob sich der Berg Rangat und überragte die Feste des Bösen. Von Schnee gekrönt, mit wolkenumhüllten Schultern beherrschte er mit seiner Glorie die Länder des Nordens.
    Sharra verstand plötzlich zum ersten Mal, warum der Krieg, der vor tausend Jahren stattgefunden hatte, Bael Rangat genannt wurde, obwohl nicht eine einzige der wichtigeren Schlachten am Berg selbst ausgefochten wurde. Es lag daran, dass der Rangat, obwohl er so weit im Norden war, so gebieterisch emporragte, dass es in all diesen Ländern keinen Ort gab, von dem man hätte sagen können, dass er nicht unter der Herrschaft dieses Berges stand.
    … Es sei denn, dass Rakoth sie besiegen würde.
    Während die Sonne nach Westen wanderte, segelten sie tausend Jahre zuvor in die Bucht hinein. Im Osten konnten sie die goldenen Strände von Andarien und dahinter eine Andeutung von hellgrünem Land erkennen, das nach Norden hin sanft anstieg. Sharra wusste, dass es hier und dort von hohen Bäumen bewachsen war und dass es dort tiefblaue Seen gab, deren Oberfläche in der Sonne funkelte, aus denen die Fische sprangen, um dem Licht die Ehre zu erweisen.
    Und sie war sich gleichzeitig bewusst, dass dies Vergangenheit war, dass sich alles in staubiges Brachland verwandelt hatte, in das bleiche Hochland, wo der Nordwind über die Leere hinwegpfiff. Die Wälder waren niedergerissen, die Seen ausgetrocknet, die dünnen Gräser braun und zerdrückt. Andarien, wo der Krieg stattgefunden hatte, war ein verwüstetes Land.
    Und wenn Diarmuid recht hatte, würde es auch jetzt wieder zum Kriegsschauplatz werden. Dann jedenfalls, wenn der Großkönig Aileron in diesem Augenblick seine Heere von der Ebene nach Gwynir führte, um am nächsten Morgen durch das Land des Immergrüns nach Andarien vorzustoßen. Und sie selbst würden ebenfalls dort ankommen, sollte Amairgen sein Versprechen einhalten. Und das geschah auch. Durch die länger werdenden Schatten dieses Nachmittages und die lange sommerliche Dämmerung segelten sie in nordöstlicher Richtung die Lindenbucht hinab und sahen zu, wie sich der goldene Sandstrand von Andarien allmählich dunkler färbte. Nach Westen über den Sennettstrand zurückblickend, gewahrte Sharra Lauriels

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