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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Der Schwamm schmeckte gleichzeitig süß und salzig, als wäre er von schwitzenden Händen zusammengerollt und ihm unter die Zunge gepresst worden. Er begann zu würgen, und allein schon diese minimale Kontraktion seiner Halsmuskeln löste eine Schmerzwelle aus, die sich von seinem Nacken her bis unter die Stirn ausbreitete. Noch nie im Leben hatte er solche Kopfschmerzen gehabt. Und noch niemals zuvor solche Angst. Er öffnete die Augen, und die Dunkelheit, die ihn umgab, schien tiefer zu werden, anstatt zu verschwinden. Unter seinen geschlossenen Lidern hatten bislang wenigstens noch Lichtschleier getanzt. Doch jetzt waren auch diese verschwunden. Für eine Schrecksekunde setzte sein Herz aus.
Dann für eine weitere.
Ich bin gelähmt, schoss es ihm durch den Kopf. Vom Hals
an abwärts. Ich kann noch nicht einmal meine Lippen be-
wegen .
Er versuchte, den Mund zu öffnen. Doch es ging nicht. Erleichtert registrierte er, dass seine Kiefermuskulatur noch intakt war, bis ihm entsetzt klar wurde, warum er nur noch durch die Nase atmen konnte.
Sie haben mich erst geknebelt und mir dann einen Sack über
den Kopf gezogen.
»Wo bin ich?«, grunzte er, so gut und so laut es das Plastikklebeband über seinem Mund erlaubte. Nackte Panik setzte sich wie eine Zecke in seinem Nervensystem fest. Er glaubte zu ersticken.
Dann ging plötzlich ein kleines Licht über ihm an, und er wünschte sich, sie hätten ihm auch die Augen verbunden. Es war kein Sack, in dem sein Kopf steckte. Als seine Pupillen sich an die sanfte Lichtquelle gewöhnt hatten und die Blitze auf seiner Netzhaut langsam ausbrannten, brauchte er noch eine Weile, bis er erkannte, wessen angsterfüllte Augen ihn durch die Skimaske hindurch anstarrten. Seine eigenen!
Er blinzelte zweimal in den Rückspiegel. Dann drehte er seinen Kopf. Vorsichtig. Wie in Zeitlupe. Nur keine ruckartigen Bewegungen, die dazu führen konnten, dass er sich mit dem Knebel im Mund übergeben musste.
War das etwa wirklich …? Ja. Es gab keinen Zweifel. Er saß
in einem leeren Wagen. Auf dem Beifahrersitz. Und er wusste, wem der Mercedes gehörte. Ihm selbst. Wo bin ich hier?
Die grauschwarzen Flecken hinter der Windschutzscheibe nahmen langsam Kontur an. Zuerst hatte er die schwanken den Masten für eine optische Täuschung gehalten. Eine weitere Nebenwirkung des Betäubungsmittels. Dabei waren es Bäume, die sich in etwa sechzig Meter Entfernung gegen den Wind stemmten. Zwischen dem Mercedes und dem Waldrand lag eine parkplatzgroße Freifl äche. Stern lehnte sich sachte nach vorn, um den Druck seines Körpergewichts von seinen gefesselten Handgelenken zu nehmen. Er kniff die Augen zusammen und überlegte, woher er diesen gottverlassenen Ort kannte, auf dem er stand. Gerade als ihn eine erste Ahnung beschlich, wurde er durch ein Geräusch auf der Rückbank abgelenkt. Kurz darauf hustete jemand dumpf in ein Taschentuch.
»Sehr schön, Sie sind also aufgewacht. Fast eine halbe Stunde vor der Zeit.«
Stern erkannte die Stimme. Ohne die technische Verfremdung klang sie deutlich menschlicher.
Ein kalter Luftzug strömte ins Auto, als der Mann aus dem Wagen stieg. Robert zuckte schmerzhaft zusammen. Das cremefarbene Licht der Leselampe war nur für den Bruchteil eines Momentes auf das markante Profi l des Killers gefallen. Aber das hatte ausgereicht, damit er den Kerl im Rückspiegel erkennen konnte. Sein Anblick reduzierte Sterns Denkvermögen auf null. Denn das, was er gesehen hatte, war eigentlich nicht möglich.
»Na, glauben Sie jetzt doch an Wiedergeburt?«, lachte Engler, während er die Beifahrertür aufzog und Stern wie einen Sack Kartoffeln aus dem Wagen riss.
Dieser stolperte nach vorne, konnte sich mit seinen gefesselten Händen nicht abstützen und stürzte kopfüber auf den festgetretenen Lehmboden. Eine verklumpte Schicht aus Laub und nasser Erde dämpfte den harten Aufprall, was Stern bedauerte, weil er dadurch nicht das Bewusstsein ver lor.
Engler? Der Leiter der Mordkommission? Wie war das mög lich?
Zwei starke Hände rissen ihn wieder hoch, und dann wurden ihm plötzlich zwei Dinge auf einmal bewusst: Er kannte den Parkplatz. Und er wusste, warum er hier war. »Sie sollten nicht alles glauben, was Sie sehen«, sagte der Kommissar, während er Stern wieder aufrecht hinstellte. »Hallo, Doktor Tiefensee, sind Sie da?«, imitierte er belustigt die Scharade, die er in der Praxis des Psychiaters aufgeführt hatte.
Dann hielt er sich ein Plastikstück vor den Mund und sprach

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