Das Kind
Kinderhandels ermordet werden. Und zuvor hatte er selbst alles dafür getan, dass man ihn für einen Päderasten hielt, dem man eine solche Untat zutraute.
Stern musste schlucken und schmeckte dabei etwas Blut. Engler war ganz eindeutig nicht besonders zimperlich vorgegangen, als er ihn geknebelt hatte.
Wie konnte ich nur so blöd sein?
Die ganze Zeit hatte er gedacht, er würde nach der »Stimme« fahnden. Dabei war er immer nur den Spuren nachgegangen, die diese bereits für ihn gelegt hatte. Und die ihn letztlich in diese Falle hier lockten. Zuerst hatte er sich durch die Leichenfunde und die wilden Reinkarnationsbehauptungen verdächtig gemacht, dann entführte er einen kleinen Jungen aus dem Krankenhaus, hinterließ seine Fingerabdrücke bei Tiefensee sowie in der Villa eines Päderasten und drückte zur Krönung Engler persönlich ein Video in die Hand, auf dem zu sehen war, wie er mit nacktem Oberkörper in ein Zimmer stürzte, wo ein halbnackter Junge gefoltert wurde. Auch Carinas Fingerabdrücke befanden sich auf der Klingel, und ihr Wagen stand direkt vor der Haustür der Maklervilla. Für Engler als Leiter der Ermittlungen würde es ein Leichtes sein, ihn und seine Komplizin als pädophiles Pärchen zu brandmarken. Und sein einziger Entlastungszeuge war ein ehemaliger Pornofi lmproduzent, der schon mal we gen Vergewaltigung vor Gericht stand. Es war teufl isch. Engler schob ihm seine Untaten in die Schuhe. Nein, schlimmer: Er hatte dafür gesorgt, dass Stern sich die Schuhe von ganz allein angezogen hatte.
»Seien Sie nicht zu wütend auf sich selbst«, brummte Engler schließlich. Nach einem kurzen Hustenanfall zog er die Nase hoch und spuckte einen Schleimpfropfen neben die Tasche.
»Sie haben nicht alles falsch gemacht. Zuerst wollte ich tatsächlich nur, dass Sie mir den Namen des ›Rächers‹ beschaffen. Sie hatten den Zugang zur Quelle. Zu Simon. Herrgott, haben Sie mich beim ersten Verhör wahnsinnig gemacht. Die ganzen Jahre über vertreten Sie ein Sackgesicht nach dem anderen. Und dann kommt auf einmal ein Mandant zu Ihnen, der mir nützlich sein könnte, und Sie lehnen seinen Fall ab. Das konnte ich nicht zulassen. Also organisierte ich am nächsten Tag ein Druckmittel.«
Die DVD.
»Das war übrigens der einzige Zufall in dem gesamten Spiel. Dass ausgerechnet Sie, der Anwalt, dessen Kind von meinen Leuten vor zehn Jahren ausgetauscht wurde, der Schlüssel für die Lösung meines größten Problems sein könnten.« Robert sah nach oben in den stürmischen Morgenhimmel, dessen Nachtschwarz langsam einem schmutzigen Grauton wich. Es erinnerte ihn an die Farbe des Verhörraums. Engler, die »Stimme«, lachte wieder und bückte sich zu der Tasche. Während er den Reißverschluss öffnete, bekam Stern unerträgliches Seitenstechen.
»Schade übrigens, dass Sie Carina nicht mitgenommen haben. Sie könnte Ihnen jetzt schön Gesellschaft leisten. Aber lassen Sie mich raten: Vermutlich haben Sie mit ihr eine Uhrzeit ausgemacht, ab wann sie die Polizei informieren soll,
oder? Nun, wollen Sie wissen, warum mir das egal ist?« Engler nahm eine graue, prall gefüllte Plastiktüte aus der Tasche. Allem Anschein nach war der darin enthaltene Gegenstand groß, aber leicht. So wie ein Kissen. »Weil die Polizei bereits hier ist. Mit drei Einheiten.« Stern drehte sich im Kreis und versuchte vergeblich, in der Dämmerung etwas zu erkennen.
»Es sind etwa zwanzig Mann. Alle außer Sichtweite, um die Observation nicht zu gefährden. Sie warten nur noch auf mein Zeichen.« Er klopfte auf ein Funkgerät, das an seiner Hüfte in einem Waffengürtel steckte.
»Die Zufahrt zum Strandbad ist eine Sackgasse. Erst wenn ich das Eintreffen des Käufers signalisiere, werden die Straßensperren errichtet und der Zugriff vorbereitet.« Der Kommissar trug die Plastiktüte zum Kofferraum. »Jetzt gucken Sie nicht so ungläubig. Ich habe diesen verdeckten Einsatz offi ziell angemeldet, nachdem meine Ermittlungen ergeben haben, dass Sie sich hier und heute an genau dieser Stelle mit einem Kinderschänder treffen wollen.« Er grinste breit. »Ich bin hier nicht zu meinem Privatvergnügen. Ich bin gekommen, um Sie zu verhaften. Ich fürchte nur, ich werde zu spät kommen und die Tragödie nicht verhindern können, die gleich ihren Lauf nimmt …« Mit diesen Worten öffnete Engler den Kofferraum des Mercedes. Stern japste, als er hineinsah. Der Knebel in seinem Mund schien riesig anzuwachsen, um erst seinen Kiefer und danach
Weitere Kostenlose Bücher