Das Kind
ich prügle
dich zu deiner Frau die Treppe runter.«
»Okay, okay, okay …« Der Mann streckte seinen Arm in die Luft, die weit aufgerissenen Augen starr auf das Stativ gerichtet, das drohend über seinem Schädel schwebte und jede Sekunde auf ihn herabzusausen drohte.
»Er hat verschiedene Adressen. Tausende. Sie funktionieren immer nur einmal. Dann müssen wir eine neue kaufen, wenn wir ihn sprechen wollen.«
»Wo?« Stern spuckte ihn absichtlich an, als er seine Frage wiederholte: »Wo kaufst du sie?«
Als er die Antwort hörte, rutschte ihm das Skalpell aus der Hand und blieb mit der Spitze in dem folienüberzogenen Parkettboden stecken.
»Was hast du gesagt?«, keuchte er fassungslos. Sein hämmernder Kopf, der anschwellende Knöchel, der verrenkte Rücken und die brennenden Lungen hatten sich inzwischen zu einer einzigen Schmerzwoge verbündet. »Sag das noch mal«, brüllte er heraus.
»Auf der Brücke«, wiederholte der nackte Mann mit dem blutverschmierten Gesicht zu seinen Füßen, und Tränen traten ihm dabei in die Augen, weil er das vermutlich am besten gehütete Geheimnis der Szene verriet: »Wir kaufen die Adressen auf der Brücke.«
21.
V iele Schauplätze des Schreckens verströmen eine Aura, die
widersprüchliche Gefühle auszulösen vermag. Dabei sind es nicht die deutlich sichtbaren Anzeichen brutaler Gewalt, die einen gleichermaßen anziehen wie abstoßen. Nicht die Blutoder die Gehirnspritzer an der Tapete über dem Bett oder die abgetrennten Gliedmaßen neben der Truhe mit der frischen Bügelwäsche. Es sind die indirekten Signale, die ein Tatort aussendet, die für Außenstehende eine morbide Faszination besitzen. Ein abgesperrter Bereich auf einem UBahnhof, der ansonsten voller Menschen ist, entfacht eine solche Wirkung, ebenso wie ein unnatürlich hell erleuchteter Platz, auf dem mehrere Polizeifahrzeuge parken. »Mist«, schimpfte Hertzlich und rieb sich seine müden Augen, ohne dabei seine Goldrandbrille abzunehmen. Mürrisch winkte er Engler vom Eingang des Lokals zu sich herüber. In der Dunkelheit des Herbstabends wirkte die hell erleuchtete Kneipe am Mexikoplatz wie eine Glühbirne, die nachts die Mückenschwärme anzog. Zahlreiche Passanten mussten auf ihrem Weg zum S-Bahnhof von den Absperrungen ferngehalten werden. Ausnahmsweise gab es hier wirklich nichts zu sehen, wie der uniformierte Beamte in regelmäßigen Abständen den Neugierigen verkündete. »So ein verdammter Mist«, wiederholte er noch einmal laut, als der Kommissar zu ihm aufgeschlossen hatte. Der gesamte Fall schien irgendwie aus dem Ruder zu laufen, und deshalb hatte er sich selbst vor Ort ein Bild der Lage machen wollen. Dass es so katastrophal aussah, hätte er nicht vermutet. »Geben Sie mir mal einen Bericht«, forderte er und beobachtete dabei angewidert, wie Engler vor seinen Augen ein
Aspirin plus C aus der Verpackung riss und die Sprudeltablette ohne einen Schluck Wasser kaute. Er fragte sich, ob er ihm nicht doch besser die Verantwortung für den Fall entziehen sollte.
»Borchert ging uns durch Zufall wegen einer Autopanne ins Netz«, begann Engler mit dem Abriss. »Er hat uns hierher zum Mexikoplatz geführt und behauptet steif und fest, Robert Stern sei zusammen mit dem kleinen Simon entführt worden. Und zwar von einer Frau, die er in dem Café hier getroffen haben will. Das Nummernschild, das Borchert angeblich gesehen hat, ist so nicht registriert. Der einzig taugliche Hinweis, den wir bislang haben, ist diese E-MailAdresse …«, Engler deutete müde auf das Schild im Fenster des Cafés, »… die zu einem kleineren Maklerbüro in BerlinSteglitz gehört. Ein Theodor Kling betreibt es mit seiner Frau Tina. Seine Sekretärin wollte gerade Feierabend machen. Hat uns aber noch verraten, dass er derzeit bei einer Hausbesichtigung ist, und uns eine Liste mit den zum Verkauf stehenden Immobilien des Büros gefaxt. Wir klappern sie gerade ab.«
»Um wie viele handelt es sich?«
»Acht Objekte in der näheren Umgebung. Nicht viele also. Das Problem ist nur, wir können schlecht überall einbrechen, um zu … äh, Moment bitte. Das könnte Brandmann sein.«
Engler klappte sein Handy auf und verzog kurz darauf das Gesicht, als hätte er auf etwas Saures gebissen. Hertzlich zog fragend die Augenbrauen hoch. »Wo zum Teufel sind Sie?«, hörte er den Kommissar mit einer Fassungslosigkeit in der Stimme fragen, die deutlich verriet, dass er nicht mit seinem Kollegen telefonierte. 22.
E inen Krankenwagen zum Kleinen
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