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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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meinen.
    »Oh, die Kanzlei von Zernikow. Eine gute Adresse.«
    »Nicht mehr«, antwortete ich. Dann fiel mir die Zweideutigkeit meiner Antwort auf. »Ich arbeite nicht mehr dort. Ich bin selbstständig. Erst seit ein paar Tagen. Aber die Handynummer stimmt.«
    Sie holte lächelnd einen Füller heraus und strich die anderen Nummern aus.
    »Und wann sind Sie am besten erreichbar?«
    Ich überlegte einen Moment. Nichts sprach dagegen, sie wiederzusehen. Sigrun lächelte von der Laterne auf mich herab, unerreichbar, fern von meinem Leben. Unter ihren Augen steckte ich Mariettas Karte ein.
    »Morgen Abend«, sagte ich.
    Es wurde Zeit, mit Sigrun abzuschließen.

35
    Wir fanden das Haus in Grünau sofort. Es lag in einem Viertel, in dem die Straßen große Namen tragen: Königsseestraße, Schlierseestraße. Die Häuser waren größtenteils aufwändig saniert worden. Das Gebäude, das wir suchten, stach jedoch schon
aus der Entfernung hervor: Es war groß, es war wunderschön, und es war eine Ruine. Drei Stockwerke, Holzgiebel, Türme. Ein Bauzaun sperrte das Gelände vollkommen ab. Die Türen waren mit grün gestrichenem Blech versperrt. Sämtliche Fensterscheiben eingeschlagen. Durch die zersplitterten Löcher sah man die hohen Decken: stuckverziert die linke, von schweren Eichenbalken durchzogen die rechte Seite. Wir saßen im Wagen und versuchten, einen weiteren Eingang auszumachen. Von der Landseite kam man nicht heran. Wir beschlossen, es von der Uferseite aus zu probieren.
    Wir trugen beide Turnschuhe und dunkle Kleidung. In der Sporttasche, die ich aus dem Kofferraum holte, waren Kopien der Pläne, zwei Taschenlampen, ein Brecheisen, ein Hammer, ein Stechbeitel und eine Drahtschere. Unsere Handys hatten wir in wasserdichte Etuis gesteckt. Wir machten aus, dass wir uns bei Komplikationen am Auto oder, sollte das nicht möglich sein, in der Dunckerstraße treffen würden.
    Dann schlenderten wir die Regattastraße hinunter und bogen in die Wassersportallee ein. Es waren nur wenige Meter bis zum Ufer. Ein Steg mit weißem Geländer führte zur Anlegestelle der Berliner Verkehrsbetriebe. Von hier aus ging die Fähre auf die andere Seite, zum Wendenschloss. Marie-Luise studierte den Fahrplan. Es war noch nicht ganz dunkel, und wir einigten uns, so zu tun, als warteten wir auf das Boot. Die Abstände betrugen zwanzig Minuten. Die letzte Fähre ging um dreiundzwanzig Uhr.
    Die Fähre der BVG drüben legte ab und kam innerhalb weniger Minuten bei uns an. Letzte Ausflügler schoben ihre Fahrräder an Land, die Passagiere von unserer Seite bestiegen das Boot. Ein schwacher Duft nach Diesel hing in der Luft. Niemand beachtete uns. Ein nicht mehr ganz junges Paar, ganz in existenzialistischem Schwarz gekleidet, das schweigend nebeneinander auf einer Bank saß. Die Fähre legte ab.
    »Ich glaube, wir können.«

    Ich warf einen Blick auf die Uhr: halb zehn. Wir sahen uns vorsichtig um. Von der Marina rechts waren Stimmen und leise Musik zu hören. Zu sehen war niemand. Links von uns lag dunkel und still das Ufer.
    »Okay.«
    Die erste Absperrung reichte nur einen halben Meter an das Ufer heran. Wir hatten keine Schwierigkeiten, auf das Gelände zu kommen. Es war eine kleine Werft. Mehrere Segelboote lagen kieloben auf Stahlgerüsten. Wir schlichen an den Schiffsleibern vorbei und gelangten unbemerkt auf das nächste Grundstück. Es war ein Privatanwesen, eine sanft abfallende Wiese führte zum Ufer. Direkt vor uns stand ein weiß gestrichener Pavillon aus Schmiedeeisen. Als wir uns setzten, hörten wir Stimmen. Vorsichtig spähte ich aus einem der offenen Rundbogen zum Haus. Die Terrasse war beleuchtet. Mehrere Menschen standen auf ihr herum und unterhielten sich.
    »Eine Grillparty«, flüsterte ich und setzte mich auf den Boden.
    »Scheiße. Haben die Leute denn nichts anderes zu tun?« Sie band sich die triefnassen Schnürsenkel ihrer Turnschuhe fester. »Und nun?«
    »Es sind noch vier Grundstücke. Immer eins nach dem anderen. Wir haben Zeit.«
    Ich spähte wieder zu der Terrasse. Leise Musik wehte zu uns herüber. Dazu der Duft nach Holzkohle und großen, saftigen Steaks. Mir knurrte der Magen. Wir hätten vor unserem nächtlichen Ausflug etwas Ordentliches essen sollen. In diesem Moment ertönte aus meiner Jackentasche ein markerschütterndes Klingeln. Leise fluchend tastete ich nach meinem Handy. Mutter, stand auf dem Display.
    »Was gibt’s?«, herrschte ich sie flüsternd an. Ich behielt die Terrasse im Auge.

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