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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Übel. Denn die Männer hat man so schnell nicht wiedergesehen.«
    Sie trank einen kleinen Schluck. Ich blickte auf die Karaffe. Mittlerweile hatte sie einen halben Liter Sherry intus.
    »Er war Offizier und von der Front beurlaubt. In Zivil war er Fotograf. Er machte in Babelsberg die Standfotos für die Ufa-Filme. Er machte göttliche Fotografien. Wollen Sie sie sehen?«
    Ich nickte. Sie rollte ins Nebenzimmer. Ich hörte, wie eine Schublade aufgezogen wurde, dann kam sie wieder herein. Auf ihrem Schoß lag eine große, flache Schachtel. Sie reichte sie mir herüber.
    Ich öffnete sie, und mein Herz begann zu rasen. Sigrun. Nackt. Jung, Mitte zwanzig, atemberaubend schön und kühl wie Quellwasser, unter dem ein verborgener Vulkan brodelte.

    Es waren Schwarzweißfotografien. Sie zeigten sie in verschiedenen Posen: als schweißglänzende Amazone vor gewittrigem Himmel, andere wiederum waren klassische Aktbilder im Boudoir-Stil. Es waren verdammt gute Fotos. Und sie waren über sechzig Jahre alt. Denn sie zeigten die Freifrau.
    Die Bilder verwirrten und beschämten mich. Es war nicht so schlimm, Sigruns Gesicht in den jungen Zügen der Freifrau wiederzusehen. Es war auch nicht die Ähnlichkeit der beiden Körper. Sondern die aufreizenden Posen und die lasziven Blicke, mit denen die Freifrau den Betrachter provozierte. Noch schlimmer aber war, dass die Bilder auf mich wirkten. Sie erregten mich.
    Ich gab sie ihr zurück. »Er war nicht nur Ihr Fotograf.«
    Sie lächelte, befriedigt von meiner Reaktion auf einen Körper, der unrettbar in die Arme des Alters gefallen war. Ihre blühende, sinnliche Schönheit war hinter Faltenwürfen, hervortretenden Knochen und blauem Geäder für immer verloren. Nur die hellen Habichtsaugen unter den schmalen, schwarz gezogenen Augenbrauen erinnerten vage an die Frau, die sie einmal gewesen war. Und an Sigrun.
    »Er war meine große Liebe.«
    Ich sah sie an. »Liebe?«
    Sie räkelte sich ein wenig in ihrem Rollstuhl, diverse kleine Gelenkknöchel knackten.
    »In diesen Zeiten war die Liebe schnell. Wir haben uns nicht lange mit Romantik aufgehalten. Man kam sofort zur Sache. Wer viel zu verlieren hat, beeilt sich. Jede Vereinigung konnte die letzte sein. Bin ich Ihnen zu ehrlich?«
    »Nein.« Ich räusperte mich. Ich konnte nicht glauben, dass ich mich hier mit einer fast Neunzigjährigen über Sex unterhielt.
    »Er kam zwei, drei Mal die Woche zu Besuch. Und jedes Mal war es ein Fest. Kennen Sie das, wenn man sich verschlingen will? Sich auffressen, um den anderen in sich zu zwingen? Wir waren wie die Tiere. Es war …«

    Sie sah mich an. Ich hielt diesem Blick stand. Länger, als ich sollte, länger, als es gut war. Als ob diese Augen mir einen Kampf aufzwingen würden, von dem ich jetzt schon ahnte, dass ich ihn verlieren würde. Mein Blut pulsierte, und als ich registrierte, was geschah, war es schon zu spät. Sie hatte mich genau da, wo sie mich haben wollte: Ich begehrte, und ich wusste nicht mehr, wen. Sigrun oder die junge Freifrau, die Bilder ließen sich nicht mehr voneinander unterscheiden.
    Ich brauchte all meine Willensstärke, um mich aus diesem Sog von Empfindungen wieder auf die Ebene eines Salongespräches emporzuarbeiten.
    »Tatsächlich«, sagte ich. »Wie die Tiere?« Ich reichte ihr die Fotos zurück. Doch statt sie anzunehmen, sank sie zurück und schloss die Augen. Jetzt erst erkannte ich, dass es genau das war, was sie gewollt hatte. Dass ein Mann sie noch einmal so sah, und sie immer noch die Macht hatte, ihn in Verwirrung zu stürzen. Ich legte die Bilder in die Schachtel zurück und fühlte mich zum ersten Mal ihr gegenüber wie ein Verlierer.
    »Wusste Utz davon?«
    Sie öffnete blinzelnd die Augen. »Kümmern Sie sich nicht um ihn. Er war ein Kind damals, ein krankes Kind, das an seinem Kindermädchen gehangen hat. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
    »Und Natalja?«
    »Sie hat geklaut wie ein Rabe. Das wurde ihr zum Verhängnis. Sogar Utz hat das begrüßen müssen. Er hat gesehen, wie sie gestohlen hat. Das hat er dann auch ausgesagt. Ich war stolz auf ihn.«
    Ich stand auf. Hatte Utz der Stolz seiner Mutter wirklich mehr bedeutet als die Liebe zu Natalja? Ich konnte nicht begreifen, wie es ihr gelungen war, mich so aufs Glatteis zu führen. Aber sie war noch nicht am Ende. Sie rollte an mir vorbei und zog an der Klingelschnur. Sekundenbruchteile später riss Walter die Tür auf.
    »Sie wissen schon … aus meinem Schreibtisch.«

    Ein Grinsen glitt

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