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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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kann.«
    »Stimmt das?«
    Sie lachte kurz auf und füllte das Wasser in die Becher. »Was man so unter Krise versteht. Sie hat gerade ihre zweite Galerie aufgemacht und zum zwanzigsten Hochzeitstag eine Kreuzfahrt gebucht. Nach Neuseeland. Natürlich von seiner Kohle.«
    Sie rührte endlos in ihrem Kaffee herum. »Ob ich mal mit ihr reden soll?«

    Ich nahm ihr sanft den Löffel ab. »Lieber nicht.«
    »Aber sie erfindet ständig neue Sachen, die ihn unter Druck setzen. Erst diese Galerie. Dann das riesige Fest zur Silberhochzeit in Potsdam. Jetzt diese Reise. Es ist nie der richtige Moment. Manchmal glaube ich, er will es ihr gar nicht sagen.«
    »Er ist ein bisschen älter als du.«
    »Na und?«
    »Lass es mich so sagen: Du bist ein bisschen jünger als er.«
    »Das gibt es doch nicht! Für dich ist das nur ein kleines Sex-Abenteuer, was? Dass es was mit Liebe zu tun haben könnte, auf die Idee kommst du gar nicht. Liebe, du verstehst? Das spielt sich hier ab, und hier …« Sie schlug sich an den Kopf und auf die Brust. »… und nicht unbedingt nur da, wo es deiner Meinung nach ausschließlich drauf ankommt.«
    »Ach, so ab und zu …« Ich musste lachen.
    Unvermittelt stimmte auch Marie-Luise ein. Sie lachte und schüttelte den Kopf dabei. »Manchmal nimmt er mich sogar mit, wenn er auswärtige Termine hat.«
    »Als was stellt er dich dann vor?«
    »Als seine Assistentin.«
    »Hm. Im Doppelzimmer vermutlich.«
    »Nein«, sagte sie. »Getrennte Zimmer. Früh um sechs schleiche ich immer über den Flur zurück. Damit niemand was mitkriegt. Es ist … Es ist …« Ohne jede Vorwarnung legte sie die Hände vors Gesicht und schluchzte. »Es ist so demütigend.« Sie ließ den Kopf auf die Unterarme sinken. »Manchmal telefoniert er mit ihr, wenn ich dabei bin. Er geht sofort an den Apparat, damit sie bloß nicht denkt, er wäre gerade bei was anderem. Einmal war er sogar bei was anderem. Coitus interruptus telefonensis würde der Facharzt attestieren.« Sie sah hoch. »Ich hätte ihm fast den Hörer aus der Hand geschlagen. Es ist nichts, hat er ihr gesagt, ich habe den Fernseher an. Es ist nichts, verstehst du? Ich bin ein Nichts!« Sie schluchzte wieder.

    Ich ging an den Wandschrank und holte mehrere Blatt Wischpapier heraus, das ich ihr unter die Nase hielt. Sie schnäuzte heftig.
    »Hör auf mit dem Quatsch. Du bist kein Nichts. Warum bleibst du überhaupt bei ihm?«
    Sie pulte an dem Papier herum und schaute auf das zerfledderte, unappetitliche Resultat in ihrer Hand. »Warum bleibst du bei Sigrun?«
    »Das ist was anderes.«
    »Sie verarscht dich doch auch, oder? Was war denn mit dem netten Privattermin gestern Abend?«
    »Den hatte ich nicht mit ihr, sondern mit ihrer Großmutter.«
    Sie sah hoch. »Mit Frau Hochwohlgeboren?«
    Ich nickte.
    »Ja – und?«
    »Sie hat alles zugegeben.«
    »Was? Den Mord an Olga? Und das Attentat auf Milla?«
    »Nein«, antwortete ich. »Wie soll eine Neunzigjährige, die gerade mal Rollstuhl fahren kann, auf offener Straße zwei gesunde Menschen angreifen?«
    »Hättest du sie mal gefragt.«
    »Ich habe sie nach Natalja gefragt. Sie hat zugegeben, dass sie sie beschäftigt hatte. Und dann hat sie mir eine ziemlich konfuse Geschichte über ein kleptomanisches Hausmädchen und einen heißen Aktfotografen erzählt.«
    »Ach. Mit neunzig?« Marie-Luise trank den Kaffee aus, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Ich probierte meinen und stellte fest, dass der Satz inzwischen gesunken war. »Ich kenne keine Neunzigjährige, die mehr an Sex denkt als sie.«
    Es überlief mich eiskalt, als ich an meine Gefühlsverwirrungen von gestern Abend dachte. Ich hatte meinen sexuellen Notstand eindeutig unterschätzt. Es wurde langsam lästig. Vielleicht sollte ich etwas unternehmen. In den Puff gehen. Ein paar Pornohefte
kaufen. Andere machten das täglich. Was mir aber wirklich zu schaffen machte, war Sigruns Verrat. Die Zernikows hatten mich geschafft.
    »Und ihr Mann, wo war der?«
    Ich brauchte einen Moment, um aus meinen Gedanken zu Marie-Luises Frage zurückzukommen. »Wilhelm von Zernikow? In Belgien, soweit ich weiß. In den Ardennen gefallen. Aber schon seit Kriegsbeginn kaum noch im Haus. Sigrun sagt, dass ihr Vater kaum eine Erinnerung an ihn hat. Ein fremder Mann in Uniform.«
    »Also, außer Utz von Zernikow, der damals neun Jahre alt war …«
    »Elf. Als es passierte, war er elf. Natalja war eineinhalb Jahre bei der Familie.«
    »Elf«, wiederholte Marie-Luise. »Mit elf waren

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