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Das kleine Reiseandenken

Das kleine Reiseandenken

Titel: Das kleine Reiseandenken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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sich ja auch um ein einfaches und höchst sympathisches kleines Menschenkind“, fügte Inge hinzu. „Und im übrigen gibt es noch zwei Dinge, die mich stark an dieses Kind binden. Erstens verdanke ich es ihr, daß meine Mutterinstinkte hell aufgelodert sind. Sie braucht mich – basta! Es ist ein wahres Glück, daß wir uns an jenem Tag auf dem Bahnhof kennenlernten. Ich wage es gar nicht, daran zu denken, wie es ihr sonst ergangen wäre. Ohne Geld und ohne die Sprache zu verstehen und die Stadt zu kennen. Und zweitens: Sie ist das beste Modell, das ich je gehabt habe. Ich habe drei große Bilder in Arbeit: Das ,Mädchen mit dem Pudel’, ,Ingrid vor dem Nähkorb’ und ,Die kleine Seejungfrau’. Euch, meinen guten Freunden, kann ich es ja ruhig sagen: Ich habe noch nie so große Hoffnungen auf meine Arbeit gesetzt wie jetzt auf diese drei Bilder. Ich will sie zur Herbstausstellung einschicken, so wahr ich Ingrid Skovsgaard heiße. Und dann werden wir mal sehen.“
    „Also müssen wir die Sache mit den Sommerferien zurechtkriegen“, meinte Frau Hall. „Du mußt diese Bilder fertig machen können, und dazu brauchst du dein Modell um dich.“
    „Auch das“, gab Inge zu. „Aber am allerwichtigsten ist es, daß das Kind in die Sonne und in die frische Luft kommt. Es ist so lieb von euch, daß ihr uns beide einladen wollt.“
    „Das wäre sonst auch noch schöner!“ sagte Frau Hall. „Daß du mitkommst wie jeden Sommer, versteht sich von selbst, und ebenso selbstverständlich ist es, daß wir die kleine Ingrid mitnehmen. Du mußt nur aufpassen, Inge, daß das Kind auch richtig faulenzt. Da wird nicht eine Tasse abgewaschen und nicht ein Stäubchen weggewischt. Das Mädel soll wirklich Ferien haben.“
    „Einverstanden“, sagte Inge. „Also – morgen werde ich gegen den Drachen zu Felde ziehen.“
    „Mit gezücktem Schwert?“ fragte Lise.
    „Ich glaube, mit einem Scheckbuch und einem gezückten Kugelschreiber habe ich mehr Aussicht auf Erfolg“, erwiderte Inge trocken.
    Am nächsten Tag erschien Inge bei Tante Agate im Laden, kaufte die üblichen Zigaretten und rückte dann mit dem heraus, was sie auf dem Herzen hatte. Sie wolle Ingrid gern für vierzehn Tage mit in die Sommerferien nehmen. Sie seien beide von Architekt Hall und seinerFrau in deren Ferienhaus am Sund eingeladen.
    Tante Agate erhob wilden Protest, Inge hatte das auch nicht anders erwartet. Das sei eine ungehörige Einmischung. Alles habe seine Grenzen. Sie könne allein für ihr Pflegekind sorgen. Und wenn sie selbst sich keine Ferien gönne, so brauche Ingrid wohl auch keine zu machen. Sie könne im übrigen Ingrid auf keinen Fall vierzehn Tage entbehren.
    Inge kochte vor Zorn, aber sie beherrschte sich. „Es ist wirklich schade, daß Sie diesen Standpunkt einnehmen, Frau Jespersen. Sie müssen doch einsehen, mir ist es sehr darum zu tun, daß ich Ingrid in diesen beiden Wochen um mich habe. Wie Siewissen, bin ich Malerin und habe ein großes Bild mit Ingrid als Modell angefangen.“
    „Das ist Ihre eigene Sache. Sie können nicht erwarten, daß ich Ihnen Ihr Modell umsonst liefere.“
    Jetzt haben wir dich gleich, dachte Inge, und unter Aufbietung all ihrer Selbstbeherrschung lächelte sie so zuvorkommend wie nur möglich.
    „Aber, meine Beste, da haben Sie mich ganz mißverstanden! Ich will sie doch nicht umsonst haben. Natürlich bezahle ich für jede Stunde, die sie mir sitzt, das ist doch klar. Das Geld können Sie sogar auf Vorschuß bekommen, so daß Sie sich dann nach einer anderen Hilfe umsehen können für die Zeit, die Ingrid weg ist.“ Diese Worte wirkten wie eine Zauberformel. Zehn Minuten später war ein Scheck über den Ladentisch gewandert, und es war ausgemacht, daß Ingrid am kommenden Samstag abgeholt werden sollte, um vierzehn Tage mit der Familie Hall in die Ferien zu fahren.
    „Meine Arme sind ganz grün und blau“, sagte Ingrid, „so sehr habe ich mich immerzu gekniffen, seit ich es erfahren habe. Du kannst ja zaubern, Inge! Ich kann es noch gar nicht fassen, daß ich verreisen soll! Oh, ich freue mich ja so! Ich weiß nicht, was ich für dich tun möchte – und für Frau Hall – und Lise und Merete und Herrn Hall und alle, alle miteinander. Du weißt nicht, wie sehr ich mich freue.“ Sie saßen im Zug, der sie aus der Stadt hinausführte, weg von dem sonnenheißen Asphalt und Staub, und vor allen Dingen: weg von Tante Agates finsterem Laden und der dumpfen, halbdunklen guten Stube.
    Nach drei Tagen

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