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Das kleine Reiseandenken

Das kleine Reiseandenken

Titel: Das kleine Reiseandenken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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hatte Ingrid eine richtige braune Farbe. Sie hatte einen gewaltigen Appetit, und ihre mageren Bäckchen wurden rund. Die Augen bekamen einen neuen, lebhaften, glücklichen Ausdruck. Den ganzen Vormittag lag sie mit Inge, Lise und der kleinen Merete zusammen unten am Strand. Lag war allerdings zu viel gesagt. Siebadete, sie baute für Merete eine Burg, sie schwatzte mit Lise, und – sie saß für Inge Modell.
    Stundenlang konnte sie dasitzen wie an jenem Tag oben im Atelier, still, verwundert lächelnd, ihre eigenen Füße betrachtend – in ihr schimmerndes Haar gehüllt. Es war so leicht – sie dachte einfach nur unablässig an die kleine Seejungfrau, und je mehr sie daran dachte, desto deutlicher empfand sie, was die Seejungfrau gefühlt haben mußte. Zuletzt war ihr, als habe sie das Ganze selber erlebt, als habe sie ihre eigene Stimme hergegeben, um eine menschliche Gestalt und menschliche Füße zu bekommen, ihr Blick wurde noch tiefer vor Staunen und Andacht. Sie spürte die leichte Brise von der See her an ihrem nackten Körper, sie hörte das Plätschern der Wellen – und schließlich kam es ihr vor, als wäre sie wirklich eine kleine Seejungfrau.
    Inge arbeitete wie besessen. Nachmittags, nach dem Lunch – nach dem Frühstück, wie die Dänen sagen – malte sie an dem anderen Bild, an dem von Ingrid und Dixi. Dazu brauchte sie Stubenlicht, das konnte sie nicht an dem grellweißen Strand machen. Ingrid und Dixi aber waren immer geduldig und fanden das Ganze herrlich. Eines Tages war die Seejungfrau fertig. Das Ehepaar Hall stand lange vor dem Bild und betrachtete es.
    „Nun, Inge“, meinte Herr Hall, „ich verstehe ja auch ein wenig vom Malen. Dies Bild ist das beste, das du je gemacht hast. Aber ich würde dir raten, das ganze Zitat aus dem Märchen draufzusetzen. Male die Zeilen da unten in die Ecke. Sie würden den geheimen Reiz noch erhöhen, den das Bild ausstrahlt.“
    „Du hast recht“, erwiderte Inge.
    Sie tauchte ihren feinsten Pinsel in schwarze Farbe und schrieb mit kleinen, deutlichen Buchstaben:
    „Da sah sie, daß ihr Fischschwanz fort war, und daß sie die niedlichsten kleinen weißen Beine hatte, die nur ein Mädchen haben kann; aber sie war ganz nackt, deshalb hüllte sie sich in ihr dichtes, langes Haar ein.“
    Dann wurde das Bild ohne Rahmen in dem Fremdenzimmer aufgehängt, in dem die beiden Ingrids schliefen. Später sollte es einen Rahmen erhalten und zur Herbstausstellung eingeschickt werden. Und dann, dann würde man sehen!
    Zum erstenmal in ihrem Leben erfuhr Ingrid, was vierzehn Tage Faulenzen bedeuten. Alle Familienmitglieder paßten auf wie die Luchse, daß sie nicht die geringste Arbeit tat. Sie durfte nicht einmal ihr Bett selber machen. Das hatte Lise übernommen. Lise war ebensosehr darauf bedacht wie die anderen, daß Ingrid wirklich Ferien machte. Alle waren gütig zu ihr. Alle waren sanft und voller Fröhlichkeit und Lachen. Ingrid konnte nicht fassen, daß es solche Menschen überhaupt gab.
    Den Gedanken an Tante Agate und den Laden und all das Graue und Trostlose hatte sie verdrängt. Sie wollte es in dieser Zeit vergessen.
    Abends gingen sie und Lise zu einem Bauernhof in der Nähe und holten Milch. Immer mußte Ingrid schnell mal in den Stall laufen und die Pferde streicheln. Und endlich, endlich durfte sie zeigen, daß auch sie Talente hatte. Der junge Sohn des Hofes kam auf den Platz geritten, sprang vom Pferd und blieb stehen, um mit Lise zu reden, die er kannte. Ingrid trat an das Tier heran und tätschelte ihm das Maul. Sie hatte noch ein paar Stückchen Zucker in der Tasche, die holte sie jetzt hervor. Das Pferd schnupperte an ihr herum. Der junge Mann beobachtete sie und kam lächelnd näher.
    „Hast du Pferde gern?“
    „Ja, furchtbar gern.“
    „Hast du Lust, mal aufzusitzen?“
    „Oh-ja-ja!“
    Er wollte ihr behilflich sein, aber Ingrid hatte schon den Fuß im Steigbügel und schwang sich allein nach oben. Aufrecht und sicher saß sie auf dem Pferderücken. Sie drückte mit den Absätzen gegen die Weichen des Tieres. Das spürte sofort, daß eine geübte Reiterin im Sattel saß. Im nächsten Augenblick ritt Ingrid in einem schönen, festen Trab um die Hofecke. Als sie nach einem kleinen Spazierrittauf der Landstraße wieder auftauchte, ritt sie in gleichmäßigem, wiegendem Galopp.
    „Warum hast du nie erzählt, daß du reiten kannst?“ fragte Lise. Inge lächelte.
    „Ich weiß nicht – das versteht sich doch von selbst. Ich habe auf dem

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