Das Kloster der Ketzer
anderen ärmlich gekleideten Gestalten, die rund um den Marktplatz ähnliche Pfennigware feilboten. Der zweite große Weidenkorb, den sie hinter sich an der Hauswand abgestellt hatte und der mit altem Sackleinen zugedeckt war, enthielt jedoch keine Bündel splittrigen Anmachholzes. In ihm verbargen sich ein frischer Brotlaib, ein dickes Stück Räucherschinken sowie drei verbeulte Blechkannen. Die beiden großen gefüllt mit schwerem Branntwein, die dritte und kleinere mit Dünnbier, das Lauretia noch mit einem Krug voll Wasser ordentlich gestreckt hatte, so dass es noch mehr von seiner sowieso schon bescheidenen alkoholischen Kraft verloren hatte. Bier, das Jodok und seine Spießgesellen nicht einmal anrühren würden, wo sie sich doch an bestem Branntwein schadlos halten konnten.
Immer wieder trafen sich ihre heimlichen Blicke und Sebastian glaubte auch über die Entfernung hinweg ihre nervöse Anspannung spüren zu können. Auf sie wartete gleich der schwerste, riskanteste und wohl entscheidendste Teil ihres Plans. Denn wenn nachher im Hinterhofstall irgendetwas schief lief und die drei Dienstmänner des Domherrn den falschen Braten rochen, dann scheiterte damit nicht nur ihr Plan, seinen Vater und vielleicht auch Leonhard Kaiser zu retten,
sondern dann konnte sie vermutlich auch mit ihrem Leben abschließen. Ein entsetzlicher, herzzerreißender Gedanke, der ihn mit jeder Stunde mehr quälte, die sie dem Augenblick der Entscheidung näher brachte.
Sebastian fuhr erschrocken zusammen, als ein Schatten über ihn fiel und ein metallisches Klirren aus seiner Bettelschale kam. Sein Kopf ruckte hoch. Eine verhärmte, von Jahrzehnten harter Arbeit gebeugte Frau hatte zwei kleine Münzen in seine Bettelschale geworfen.
Hastig hob er die Hand, machte das Kreuzzeichen und murmelte einen Dank- und Segensspruch, wie es die großherzige Alte wohl von einem frommen Bettelmönch erwartete. Dann schlurfte sie an ihm vorbei die Stufen hoch und verschwand hinter ihm in der Kirche.
Als er seinen Blick wieder auf Bruder Scriptoris richtete, fuhr ihm zum zweiten Mal innerhalb weniger Sekunden der Schreck in die Glieder. Denn der Mönch stand nicht mehr an seinem Beobachtungsposten, sondern eilte die Straße zu ihm hoch. Und er kratzte sich dabei mit beiden Händen heftig am Kopf, als juckte es ihn rund um die Tonsur.
Es war das verabredete Zeichen!
Die Kutsche des Domherrn kam über die Brücke!
6
Hastig bückte Sebastian sich nach seiner Bettelschale, kippte sich noch im Aufspringen das kleine Häuflein Münzen in die Hand, das vielleicht gerade mal für eine bescheidene Mahlzeit gereicht hätte, und gab die Warnung an
Lauretia weiter, während er zu ihr an die Ecke zur Lehmgrubengasse eilte. Zwar hatten sie noch einen Spielraum von einigen Minuten, weil die Kutsche des Domherrn bei dem regen nachmittäglichen Betrieb auf der Brücke nur langsam vorankam und Tassilo zudem stets mit der schamlosen Unverfrorenheit des Mächtigen vor dem Vordereingang seiner Geliebten aus seinem standesgemäßen Gefährt stieg. Aber dennoch waren jetzt höchste Eile und Wachsamkeit geboten. Denn Lauretia musste den Platz des Stallburschen schon eingenommen haben, noch bevor die Kutsche den Marktplatz passiert hatte und Jodok vom Kutschbock aus die Toreinfahrt in sein Blickfeld bekam.
Sebastian hatte gerade noch Zeit, um mit Lauretia einige schnell geflüsterte Worte zu wechseln.
»Pass um Gottes willen auf dich auf!«, beschwor er sie. »Wenn du das Gefühl hast, dass sie den Köder nicht annehmen und misstrauisch werden, machst du dich sofort aus dem Staub. Sag, dass dich die Blase drückt, und verschwinde! So gern ich meinen Vater und seinen Freund auch retten möchte, so hat deine Sicherheit doch Vorrang vor allem anderen!«
»Keine Sorge, ich werde schon aufpassen. Dafür hänge ich zu sehr am Leben!«, versicherte sie, doch mit belegter Stimme und auch reichlich blass um die Nase. »Seht ihr nur zu, dass ihr euch bereithaltet! Und ein paar Gebete könnten auch nicht schaden.«
»Mein Gott, wenn du wüsstest, was für eine Angst ich jetzt um dich ausstehen werde!«, stöhnte er. Im selben Moment ging Bruder Scriptoris an ihnen vorbei, ohne ihnen scheinbar irgendwelche Beachtung zu schenken, und strebte dem Ende der Lehmgrubengasse entgegen.
»Ach was, Unkraut vergeht nicht! Denk an Troja!«, rief sie ihm zu, griff nach den beiden Weidenkörben und verschwand
Augenblicke später durch den Tordurchgang, der sich über die ganze Tiefe des
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