Das Kloster der Ketzer
einer Waldlichtung zurückgelassen, die Schimmel ausgespannt und sich selbst überlassen. Dann hatten sie die dort versteckten Briefe hervorgeholt, die der Buchhändler Felderstätt bei seinem Freund, dem Bauern, abholen und einem Feind des Domherrn zuspielen würde, ohne sich selbst dabei der Gefahr auszusetzen, dass man ihn als Mittelsmann ausfindig machen konnte. Der Mönch hatte versichert, dass Felberstätt schon wusste, wie er vorgehen musste, um sich und seine Familie zu schützen. Anschließend hatten sie sich auf den einsamen Hof und dort in die Scheune geschlichen, wo ihre Pferde schon gezäumt und gesattelt für ihre Flucht bereitstanden. Sie hatten die Pferde am Zügel in einem weiten Bogen um das Dorf herumgeführt und waren erst außer Hörweite der letzten Häuser und Gehöfte im Galopp davongeprescht.
»Und Ihr wollt wirklich nicht mit uns nach Wittenberg kommen, werter Bruder Scriptoris?«, fragte Ekkehard von Wittgenstein. »Auf einen so aufrechten und glaubensstarken Mann, wie Ihr es seid, warten dort jetzt große, weltbewegende Aufgaben.«
Der Mönch lächelte. »Euer Angebot ehrt mich, Ekkehard. Aber es dürfte Euch von unseren langen und oft auch recht hitzigen Gesprächen in der Druckwerkstatt von Leonius Seeböck her nicht ganz unbekannt sein, dass ich zwar vieles von dem, was Martin Luther bewirkt hat, für richtig und notwendig halte, aber auch so manches heftig ablehne.«
»Fürwahr, fürwahr«, seufzte Sebastians Vater. »Aber die Dinge sind noch sehr im Fluss, und vieles von dem, was hier und da im Sturm der Ereignisse vielleicht ein wenig aus dem Ruder gelaufen sein mag, wird sich wohl noch richten und in annehmbarere Bahnen lenken lassen.«
»Das wünsche ich Euch von Herzen«, erwiderte Bruder Scriptoris. »Aber mein Platz ist nicht in Wittenberg oder an sonst einem Ort, wo Luthers Lehre bestimmend ist, sondern in einem Kloster der römisch-katholischen Kirche.«
»Trotz allem?«, fragte Ekkehard leise und mit dem Anflug eines Vorwurfs, dass er an der alten Lehre festhalten wollte.
Bruder Scriptoris nickte. »Ja, trotz allem! Ich bin wohl der Letzte, der nicht freimütig zugeben würde, dass es in unserer heiligen Mutter Kirche üble Missstände und Verirrungen gibt, die mich als Glaubender zutiefst beleidigen, mir wie ein Messer ins Herz schneiden und mir oft genug die Zornesröte ins Gesicht treiben. Aber die Kirche ist für mich mehr als nur der Papst in Rom, die Kurie und all die anderen Kirchenfürsten, die ihre Macht missbrauchen und durch ihr schändliches Treiben die wahre Botschaft des Evangeliums mit Füßen treten. Sie ist viel stärker und widerstandsfähiger, und eines Tages wird sie diese unselige Zeit überwinden, davon bin ich so fest überzeugt, wie ich an Jesus Christus als unseren Heiland und Erlöser glaube.«
»Wenn Ihr Euch da mal nicht täuscht«, meinte Ekkehard düster. »Ich sehe vielmehr, dass die alte romtreue Kirche in
ihrem Innersten schon zu verfault ist, um ihren endgültigen Niedergang noch aufhalten zu können.«
Der Mönch schüttelte heftig den Kopf. »Ihr irrt, werter Freund. Aber lasst uns jetzt nicht eine unserer langen Diskussionen zu diesem Thema führen. Meine Kirche ist, wie ich schon sagte, mehr als all das, was ich gerade aufgeführt habe. Sie ist meine innere, unzerstörbare Heimat, aus der mich niemand vertreiben kann. Man kann sie auch mit einer großen Familie vergleichen, in der es immer einige gibt, die dem Familiennamen Schande bereiten, weil sie nichts auf Moral und Ehre geben und durch ihr Tun böses Blut unter ihren Angehörigen schaffen. Aber das ändert nichts an meiner unauflöslichen Verbundenheit mit meiner Familie und insbesondere mit denjenigen, die in aufrichtiger Treue und Liebe zu mir stehen. Mit derselben unerschütterlichen Treue und Liebe stehe ich zu unserer heiligen Mutter Kirche, Ekkehard. Und dabei sollten wir es belassen.«
»Und wohin wollt Ihr Euch jetzt begeben?«, fragte Sebastian bedrückt, wünschte er doch, der Mönch würde mit ihnen ziehen, statt nun von ihnen Abschied zu nehmen. Zu seinem Kummer würde es wahrscheinlich ein Abschied für immer sein.
»Es gibt westlich von Köln im Salmtal, das zum Eifeler Land und dem Bistum Trier gehört, ein Zisterzienserkloster namens Unsere Liebe Frau von Himmerod. Ein Kloster, das dort schon vor über fünfhundert Jahren gegründet worden ist«, antwortete Bruder Scriptoris. »Ich bin seinem Abt Wilhelm von Hillesheim im Sommer vor seiner Wahl in das
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