Das Kloster der Ketzer
üblicherweise mit regelmäßigen Zuwendungen und anderen Diensten erkaufen mussten. Kein Wunder, dass Stumpe und Rotmund ihm so eilfertig zu Willen gewesen waren. Alle Fragen, die Sebastian so lange beschäftigt und erfolglos grübeln lassen hatten, waren nunmehr beantwortet. Bis auf eine einzige.
»Aber warum habt Ihr das alles für meinen Vater und mich getan und dabei so viel riskiert?«, fragte Sebastian.
»Genau das habe ich mich auch gefragt«, sagte sein Vater sofort. »Warum?«
Der Anflug eines Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht des Scharfrichters. »Weil ich in Eurer Schuld stand, Herr von Wittgenstein«, lautete seine rätselhafte Antwort.
» Ihr standet in meiner Schuld?«, erwiderte Ekkehard. »Das verstehe ich nicht.«
»Das werdet Ihr sogleich, sofern Ihr Euch noch gut fünfzehn Jahre zurück an eine junge, ledige Frau namens Anna Webschläger erinnern könnt, die Tochter einer Bäuerin aus Kellberg«, sagte der Scharfrichter.
Ekkehard dachte kurz nach. Dann erinnerte er sich. »Natürlich! Das war doch das arme Ding, der man nachsagte, den bösen Blick zu besitzen, dem Vieh der Nachbarn durch ihre Beschwörungen Tod und Missgeburten gebracht zu haben und nachts dem Teufel mit anderen Hexen unzüchtig zu Willen zu sein.«
Hubertus Haberstroh nickte. »Richtig, man wollte sie auf dem Scheiterhaufen brennen sehen. Und wenn Ihr damals nicht gewesen wärt und die bösartige Anklage nicht beherzt niedergeschlagen hättet, wäre das auch geschehen – und ich hätte Anna, die ich liebte und die mir als meine Ehefrau mittlerweile fünf prächtige Kinder geschenkt hat, nicht einmal begraben können. Ich habe Euch das alles nicht erzählt, weil es sowohl meiner Sicherheit als auch Eurer und der Eures Sohnes diente. Aber als ich zufällig hörte, wie Euer Bruder auf Euch einredete und er dabei Euren tatsächlichen Namen benutzte, da erkannte ich Euch wieder und wusste, dass die Zeit gekommen war, meine Schuld und die meiner Frau bei Euch zu begleichen und wenigstens Euren Sohn vor dem Domherrn zu retten. Dass nun gottlob auch Ihr noch freikommt, ist dabei weniger mein Verdienst. So, und nun solltet ihr besser die Gunst der Stunde nutzen und von hier verschwinden! Aber bevor ihr geht, müsst ihr auch mich noch niederschlagen und
gefesselt zu den anderen legen, sonst werde ich selbst dem Henker ins Gesicht schauen müssen.«
Als Sebastian, sein Vater und Bruder Scriptoris verständlicherweise zögerten, ihn wie verlangt mit dem Knüppel niederzuschlagen, nahm der Scharfrichter die Angelegenheit selber in die Hand. Ehe sie wussten, was er vorhatte, rammte er seine Stirn kräftig gegen die Kante der Mauer. Als er von der Wand zurücktaumelte, klaffte am Haaransatz über dem rechten Auge eine hässliche Platzwunde und Blut strömte ihm über das Gesicht.
»Das dürfte überzeugend aussehen«, sagte er. »Nun reicht ein Schlag auf den Hinterkopf, um eine schlimme Beule hervorzurufen. Und jetzt nicht lange gezögert! Dies ist nicht die Stunde für Zimperlichkeit!«
Es war Sebastian, der ihm widerwillig mit dem Prügel den verlangten Schlag auf den Hinterkopf versetzte. Er legte aber nicht so viel Kraft hinein, um ihm das Bewusstsein zu rauben. Der Scharfrichter ging mit einem unterdrückten Aufstöhnen in die Knie und streckte sich neben den beiden anderen Männern am Boden aus. Dann ließ er sich fesseln und trug ihnen dabei noch auf, die Tür auch ja von außen zu verschließen und den Schlüssel mitzunehmen, bevor sie ihm einen lockeren Knebel vor den Mund banden.
Bruder Scriptoris schenkte ihm noch seinen Segen. Dann beeilten sie sich, dass sie aus den Katakomben und in die Kutsche kamen. Die Wachen waren noch nicht zurückgekehrt, und niemand hielt sie auf, als sie das Gefährt bestiegen.
Die Tore der Festung öffneten sich eines nach dem anderen, ohne dass es dazu einer Aufforderung bedurfte. Und dann lag die Freiheit vor ihnen!
12
Sie waren die ganze Nacht hindurch geritten und hatten sich und den Pferden nur wenige kurze Pausen erlaubt, um so viele Meilen wie möglich zwischen sich und das Passauer Land zu bringen, bevor die Suche nach ihnen begann. Nun hatten sie in der Nähe einer Wegkreuzung, an der sich die Landstraße einmal nach Nordosten und einmal in nordwestlicher Richtung teilte, im Schutz eines Waldes Halt gemacht und waren von den Pferden gestiegen, um sich eine längere Rast zu gönnen.
Die Kutsche des Domherrn hatten sie ein gutes Stück von der Siedlung Hacklberg entfernt auf
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