Das Kloster der Ketzer
Herr!«, erwiderte der Krüppel. »Also bedrängt mich nicht länger mit Fragen, die Euch nicht weiterbringen und uns nur wertvolle Zeit kosten. Wir müssen von hier verschwinden und Euch in Sicherheit bringen, denn Ihr dürft nicht länger auf der Straße verweilen. Es werden bald noch andere Spießgesellen die Augen nach Euch aufhalten, wenn der Bursche hier erst wieder zu sich gekommen ist. Ich weiß ganz in der Nähe einen Ort, wo Ihr Euch verstecken könnt, bis es dunkel ist und man Euch unbemerkt wieder zu Meister Dornfeld bringen kann. Hier, nehmt mir das ab!«
Sebastian fing den Degen auf, den der verkrüppelte Bettler ihm zuwarf. »Verrätst du mir denn wenigstens, wie du heißt?«
Der Krüppel blickte mit einem zahnlosen Grinsen zu ihm auf. »Man nennt mich Stumpe, junger Herr. Weder ein sehr origineller noch ein schmeichelhafter Name, aber er tut es so gut wie jeder andere. Und jetzt lasst uns um Himmels willen von hier verschwinden!«, drängte sein Retter und hüpfte über den Hof zum Tordurchgang, wo er sein Rollbrett zurückgelassen hatte.
Sebastian folgte ihm aus der Sackgasse, und als sie wenig später die Grabengasse in Richtung Inn hinuntereilten, war er einmal mehr erstaunt, wie schnell sich dieser Mann auf seinem primitiven Gefährt bewegen konnte. Er selbst musste laufen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Kein Wunder, dass dieser Stumpe ungemein muskulöse Oberarme besaß.
»Wo bringst du mich hin?«
»In das Haus einer Person, der ich blind den Rest meines verstümmelten Körpers anvertrauen würde, und das heißt in dieser verdammten Stadt nicht wenig«, gab der Krüppel zur Antwort und bog schwungvoll in eine schmale Seitengasse ein, in der es stark nach Unrat aller Art stank.
Vor einem schmalbrüstigen Haus hielt Stumpe sein Rollbrett an, sprang die beiden Stufen hoch und klopfte mit der Faust gegen die Tür. Als sich niemand im Haus zu rühren schien, hämmerte er erneut dagegen, diesmal mit ungeduldiger Heftigkeit.
Augenblicklich meldete sich eine ärgerliche Frauenstimme jenseits der Tür. »Zum Teufel noch mal, ich komme ja schon! Aber noch sind mir keine Flügel gewachsen! Also untersteht Euch, mir die Tür einzuschlagen!« Gleichzeitig hörte man, wie zwei Eisenriegel in ihren Halterungen zurückfuhren.
Eine spärlich bekleidete Frau von äußerst üppigen Formen erschien in der halb geöffneten Tür. Ihr quollen die Brüste fast aus dem knapp geschnittenen Mieder. Ihr Gesicht war grell geschminkt. Der rot übermalte Mund wirkte wie eine wulstige, blutende Wunde. Zudem trug sie eine schief sitzende, buttergelb gefärbte Perücke, die wohl aus Pferdehaar gearbeitet war und deren falsche Locken ihr bis auf die nackten gepuderten Schultern fielen.
Sebastian brauchte nur einen Blick auf die Frau zu werfen, um sofort zu wissen, wohin der Krüppel ihn gebracht hatte, nämlich zu einer jener berüchtigten Lasterhöhlen Passaus, wo ehrlose Frauen gegen Bezahlung zu allen Liebesdiensten bereit waren!
»Was willst du, Stumpe?«, fragte die Frau ungnädig, die einen verschlafenen Eindruck machte. »Du weißt doch, dass meine Mädchen um diese Zeit noch nicht arbeiten. Außerdem habe
ich dir schon mehr als einmal gesagt, dass ich nicht anschreibe und …«
»Darum geht es nicht, Rotmund!«, fiel Stumpe ihr ins Wort. »Lass uns rein, dann erzähl ich dir, warum wir zu dir gekommen sind. Und es wird dein Schaden nicht sein, das verspreche ich dir.«
Die Frau, die wahrlich nicht von ungefähr auf den bezeichnenden Namen Rotmund hörte, warf Sebastian einen scharfen, prüfenden Blick zu. Dann nickte sie knapp und trat von der Tür zurück. »Also gut, aber gnade dir Gott, wenn du mich wegen einem Furz aus dem Bett geholt hast!«, brummte sie.
Stumpe klemmte sich sein Rollbrett unter den Arm und hüpfte in den dunklen Durchgang, der sich hinter der Tür erstreckte. Sebastian folgte ihm und zwängte sich an der Frau vorbei, die hinter ihm die Tür schloss und verriegelte. Eine steile Stiege führte wenige Schritte hinter der Tür aus der Diele ins obere Stockwerk.
»Nun sag schon, was es mit deiner Heimlichtuerei auf sich hat, Stumpe!«, forderte Rotmund ihn ungeduldig auf.
»Was ich dir zu sagen habe, verträgt keine lauten Töne. Ich muss es dir ins Ohr flüstern, Rotmund«, antwortete der Krüppel und winkte sie zu sich an die Treppe, auf deren vierte Stufe er gehüpft war, so dass er sich nun mit ihr auf Augenhöhe befand. »Und Ihr, junger Herr, bleibt so lange dort hinten an der
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