Das Kloster der Ketzer
aus, dass man sich nicht nur Ablassbriefe für vergangene Sünden kaufen konnte, sondern auch für zukünftige Verfehlungen, sogar für die Todsünden wie Totschlag und Blutschande.
Sebastian hatte genug gehört und gesehen. Er hatte an diesem Tag noch einen langen Weg vor sich. Deshalb löste er sich nun eiligst aus der Menge. Dabei rempelte er einen breitschultrigen Mann an, der ihm unverhofft in die Quere geriet und sich sogleich mit einem ärgerlichen Laut zu ihm umwandte.
Sebastian fuhr ein eisiger Schreck in die Glieder, blickte er doch in das Gesicht des plattnasigen Schergen Jodok, mit dem er am Moor die Klinge gekreuzt hatte!
14
Der Scherge starrte ihn an, als wäre ihm ein Geist erschienen. »Du lebst? Hol mich doch der Teufel!«, stieß er fassungslos hervor. Doch schon im nächsten Moment hatte er den Schock überwunden. »Umso besser! Der Domherr wird entzückt sein und mich gut bezahlen, wenn ich dich ihm lebend bringe!« Gleichzeitig schoss seine Hand vor.
Sebastian war zunächst vor Erschrecken wie gelähmt gewesen. Doch als der Scherge, der auf den Namen Jodok hörte, ihn packen und festhalten wollte, da duckte er sich geistesgegenwärtig zur Seite und suchte sein Heil in der Flucht.
Um ein Haar wäre er gerade mal zwei Schritte weit gekommen. Denn Jodoks Hand fasste nicht gänzlich ins Leere. Zwar konnte sie sich nicht mit eisernem Griff um Sebastians Arm legen, aber dafür bekam sie einen Zipfel seines Umhangs zu fassen. In der Hoffnung, ihn aus dem Tritt zu bringen und zu Boden werfen zu können, zerrte Jodok den Mantel mit aller Kraft zu sich heran.
Sebastian war, als wäre er plötzlich gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Gleichzeitig spürte er einen würgenden Druck auf seine Kehle, als der schwere Wollstoff sich spannte, sich die dünne Kette der Kragenschließe in seinen Hals schnitt und ihm die Luft abschnitt. Doch noch bevor er das Gleichgewicht verlieren und rückwärts gezogen werden konnte, verbog sich der Haken der Schließe unter dem brutalen Ruck des Schergen und brach auf. Der Umhang flog ihm von der Schulter und Jodok vor die Brust, und befreit von dem Zugriff, der ihm fast zum Verhängnis geworden wäre, rannte er los.
»Das wird dir auch nichts helfen! Diesmal entkommst du mir nicht! Das Kopfgeld für dich ist heute schnell verdient!«, rief Jodok ihm nach.
»Das werden wir ja sehen, Schweinsnase!«, rief Sebastian zurück, ohne sich jedoch nach seinem Verfolger umzusehen. In einem wilden Zickzack lief er durch die hinteren, nicht mehr ganz so dicht gedrängten Reihen der Schaulustigen.
Keiner der Umstehenden gab etwas auf Jodoks Aufforderungen, dem Flüchtenden den Weg zu versperren und ihn festzuhalten. Sie hatten nur Augen und Ohren für den Ablassprediger und seinen schaurig eindrucksvollen Wagentross. Zudem
sah jeder, dass er der Dienstmann eines Domherrn war. Jodok trug nämlich nicht nur seinen Degen an der Seite, sondern auf dem Lederwams und vor allem auf seinem maronenbraunen Umhang prangte deutlich das Wappen seiner hohen geistlichen Herrschaft. Und die Domherrn, die sich fast ausnahmslos auf dem krummen Rücken der Handwerker und Tagelöhner ein gutes Leben machten, erfreuten sich in der Bevölkerung nicht gerade großer Beliebtheit. Da machte sich keiner so schnell zum Handlanger eines seiner Schergen.
Sebastian ließ die Schaulustigen auf dem Residenzplatz hinter sich. Vor ihm verengte sich der Platz und ging rechts vom Dom in die Margaretengasse über. Er rannte in die Gasse hinein, schlug aber sogleich einen Haken nach rechts und stürzte die Kleine Messergasse hinunter. Steil ging es den Hügel hinab, auf dem der Dom stand und von wo aus sich die Stadt im Laufe der Jahrhunderte immer mehr in alle Richtungen ausgebreitet hatte. Am Fuß der Gasse wandte er sich nach links und wäre beinahe in einer Pfütze hinter der Mauerecke ausgerutscht. Er fing sich gerade noch rechtzeitig und lief weiter.
Jodok blieb ihm dicht auf den Fersen, welche Haken er in dem Gassengewirr am westlichen Donauufer auch schlug. Er schrie ihm unablässig Flüche und Drohungen zu.
Sebastian antwortete nicht auf seine Zurufe, dafür war ihm der Atem zu kostbar. Schon jetzt spürte er, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er wusste, dass er nach so langer und schwerer Krankheit rasch ans Ende seiner Kräfte gelangen würde. Und deshalb gab es für ihn auch nur eine einzige Chance, seinem Verfolger und damit der Einkerkerung zu entkommen: Er musste ihn irgendwo abschütteln, etwa an
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