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Das Kloster der Ketzer

Das Kloster der Ketzer

Titel: Das Kloster der Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M Schroeder
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ein dichter grüner Riegel am Ufer des Inn erstreckte, und das verfilzte Unterholz das Fortkommen etwas beschwerlich machte, nutzte er die Gelegenheit, um ihre Hand zu ergreifen, als wollte er ihr Halt geben. Dabei wusste er nur zu gut, dass Lauretia auch ohne seine Hilfe gut zurechtgekommen wäre. Es beglückte ihn, dass sie ihm ihre Hand nicht entzog, sondern ihn vielsagend anlächelte und den zärtlich stummen Druck seiner Hand erwiderte. Er wünschte, stundenlang so mit ihr Hand in Hand durch die Nacht gehen zu können.
    Wenig später saßen sie dann an einer grasbewachsenen Stelle am Ufer des Inn, der dunkel und mit geheimnisvoller Eile seinem gewundenen Flusslauf folgte.
    »Nun, wie geht es im Kloster Unserer Lieben Frau vom Inn zu? Und warum trägst du noch keine Kutte? Erzähl! Ich bin schon ganz gespannt!«, forderte sie ihn auf.
    »Ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll«, sagte Sebastian
und überlegte, mit welchen skurrilen klösterlichen Eigenheiten er sie am besten unterhalten sollte.
    An Stoff mangelte es ihm nicht. Da gab es bei den Mönchen etwa die seltsame Vorschrift, bei der Beichte Übertretungen stets in der Reihenfolge der fünf Sinne, der sieben Todsünden und der zehn Gebote zu nennen. Oder dass es einem Laienbruder nicht gestattet war, einen Klerikermönch zu rasieren, und dass die Rasur der Bärte alle acht Tage und die der Köpfe alle vierzehn Tage vorgeschrieben war. Er konnte sich über die Mahlzeiten im Refektorium auslassen, wo oftmals dem Wein und dem guten Essen mehr Beachtung geschenkt wurde als dem, was der Tischleser aus dem Heiligenkalender, der Benediktregel und der Bibel vortrug, und dass man den Becher stets mit beiden Händen fassen musste, sich auf dem Stuhl nicht anlehnen durfte und es verboten war, den Tisch mit dem Ellbogen zu berühren. Auch hätten die kleinen und großen Zwistigkeiten, die zwischen einigen Klosterbrüdern bestanden und die manch kuriose Blüten trieben, einige prächtig erheiternde Lästergeschichten abgegeben. Er brauchte da bloß an den Cellerar, den Prior und seinen Novizenmeister und einige andere zu denken, die alle nicht gerade mit einem sanftmütigen Temperament gesegnet waren. Auch Bruder Pachomius und vor allem der blinde Bruder Lombardus, von denen jeder auf seine ganz eigene Art im Kampf mit irgendwelchen wirklichen oder eingebildeten Dämonen lag, boten sich an. Zudem hätte er sich auch über die Zeichensprache lustig machen können, in der man sich nötigenfalls verständigte, sowie über das Verbot des lauten Lachens und die Vorschrift, die Hände in den Ärmeln der Kutte zu verschränken, den Blick ständig gesenkt zu halten und nie zu lachen. Dieses und vieles andere mehr kam ihm in den Sinn.
    Aber all diese Eigenarten der Mönche und die klösterlichen
Gepflogenheiten nun zur reinen Unterhaltung zum Besten zu geben wäre ihm auf einmal als beschämende Undankbarkeit und Überheblichkeit vorgekommen. Immerhin hatten ihn die Mönche freundlich bei sich aufgenommen und gewährten ihm ihren Schutz, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst waren. Ganz zu schweigen davon, dass Bruder Scriptoris ihn die schwarze Kunst des Buchdrucks lehrte.
    Und er zweifelte auch nicht daran, dass die Mehrzahl der Mönche mit reinem Herzen den mühseligen Weg des Heils suchte und Gott hingebungsvoll in Armut, Gehorsam und Keuschheit dienen wollte. Und deshalb nahm er schnell Abstand davon, sich mit Spott und Geschwätzigkeit über das Leben der Zisterzienser von Unserer Lieben Frau vom Inn auszulassen.
    »Das Leben hinter Klostermauern ist so völlig anders als das, das wir gewöhnt sind. Es ist eine ganz fremde Welt, die sich mit ihren ganz eigenen Regeln nicht so leicht in Worte fassen lässt. Und vermutlich bin ich auch noch gar nicht lange genug dabei, um mir ein Urteil erlauben zu können«, antwortete er schließlich zurückhaltend. »Jede Stunde des Tages ist genau geregelt. Alles läuft nach einem festen, unabänderlichen Plan und Rhythmus ab, der von den vielen Gebetszeiten bestimmt wird. Und bis auf Kleinigkeiten, die mit den verschiedenen Jahreszeiten zu tun haben, ändert sich da nie etwas. Tag für Tag und Jahr für Jahr leben sie nach dieser strengen Regel.«
    Lauretia sah ihn überrascht an. »Du klingst ja so, als wärst du regelrecht beeindruckt!«
    Sebastian nickte nachdrücklich. »Ja, das bin ich im Gro ßen und Ganzen auch«, gestand er. »Manche Mönche sind zwar schon recht eigenartige, kauzige Burschen und an Eitelkeit, Neid und

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