Das Kloster der Ketzer
einmal genau hinsah, traf sein Blick auch wirklich nur auf nachtschwarze Fensterläden.
Die Reflexion des Mondlichtes auf den vorgelegten Eisenriegeln musste ihm einen Streich gespielt haben. Und er vergaß die Sache sofort wieder.
Er hielt sich nahe an der Wand, verschmolz förmlich mit den tiefen Schatten der Nacht, huschte an der Pforte vorbei, gelangte zu dem hohen Stapel aus Balken und Brettern, die Lauretia am Vormittag aus Passau angeliefert hatte, und stieg dann vorsichtig über die Trümmer der Brandruine zur halb eingestürzten Mauer hoch. Immer wieder verharrte er kurz in geduckter Haltung, lauschte in die Dunkelheit und vergewisserte sich, dass sich niemand dort draußen aufhielt, der ihn hätte bemerken können.
Augenblicke später sprang er von dem hüfthohen Rest der Umfassungsmauer ins Freie. Er lief durch ein kurzes Stück Grasfläche und dann quer über den sich daran anschließenden Acker zu den Heckensträuchern und knorrigen Eichen, die auf beiden Seiten den Weg von der Landstraße zum Kloster säumten, ohne jedoch eine gleichmäßige und planvoll angelegte Allee zu bilden, wie er sie vom Erlenhof her kannte.
Sein Herz schlug wie wild vor Aufregung und freudiger Erwartung, als er den Weg im Schatten der Bäume und Hecken zur Landstrasse hoch eilte. Die Nacht war noch sommerlich warm, aber der Himmel stark bewölkt, so dass nur gelegentlich ein wenig Mond- und Sternenlicht zur Erde drang.
Er hielt Ausschau nach dem großen Ginstergebüsch, von dem Lauretia geredet hatte. Und dann sah er es – und die Gestalt, die im nächsten Augenblick hinter dem Ginsterdickicht hervortrat und die rechte Hand leicht zum Gruß erhob.
»Lauretia!« Atemlos blieb er vor ihr stehen. Fast hätte er seinem spontanen Verlangen nachgegeben und sie in seine Arme geschlossen. Aber dann fehlte ihm doch der letzte Rest Courage, ihr seine Zuneigung so unmissverständlich zu zeigen.
Stattdessen fragte er: »Hast du schon lange auf mich gewartet?«
Sie schüttelte den Kopf und lachte ihn an. »Und wenn schon! Heute Nacht habe ich nichts Besseres vor«, sagte sie und zwinkerte ihm zu. »Hier ist deine Bibel.« Sie bückte sich und zog die alte Ledertasche aus dem Gebüsch hervor.
»Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast«, sagte er und hängte sie sich über die Schulter. Dann bemerkte er, dass nirgendwo ein Fuhrwerk oder ein Pferd zu sehen war. »Aber sag mal, wie kommst du nachher zurück nach Passau? Die Tore sind doch von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang geschlossen!«
»Ich habe Rufus in der Scheune vom Bauern Hubert Schlittpacher untergestellt und werde nachher da auch im Heu schlafen«, teilte Lauretia ihm mit, als sei das das Selbstverständlichste auf der Welt. »Sein Hof liegt gleich linker Hand hinter dem kleinen Wald da oben. Er kennt mich und stellt keine Fragen. Du brauchst dir also um mich keine Sorgen zu machen.«
»Es tut mir Leid, dass ich dir so viele Umstände mache«, sagte er.
»Ach was, du machst mir keine Umstände!«, versicherte sie, um dann mit noch sanfterer Stimme hinzuzufügen: »Ich tue es wirklich gern für dich, Sebastian. Ohne dich ist es bei Dornfeld richtig... na ja, irgendwie einsam und nicht mehr so schön wie in der Zeit, als du da warst.«
Ihm war, als machte sein Herz vor Freude einen Sprung. »Du hast mir auch sehr gefehlt, Lauretia. Ich wünschte, wir hätten uns nicht trennen müssen.«
Sie seufzte. »Ja, ich auch, aber du wirst dich ja nicht auf ewig im Kloster verstecken müssen.«
»Hast du inzwischen etwas vom Kapuzenmann gehört? Gibt es irgendeine Nachricht von ihm für mich?«
»Nein, nichts. Aber was erwartest du? Es sind ja noch nicht mal zwei volle Wochen verstrichen, seit du ins Kloster gingst. Und er hat doch gesagt, dass es einige Zeit dauern kann, bis er wieder mit dir Kontakt aufnimmt und dich da rausholt.«
»Aber mir kommt die Zeit schon jetzt wie eine Ewigkeit vor – zumal ohne dich.«
Sie schenkte ihm ein wehmütiges Lächeln. »Ich weiß, mir ist die Zeit doch auch lang geworden. Aber im Kloster bist du wenigstens vor den Nachstellungen des Domherrn und seiner Knechte sicher und das ist im Augenblick nun mal das Wichtigste. So, und jetzt lass uns zum Fluss hinuntergehen und uns dort ein nettes Plätzchen suchen. Und dann musst du mir erzählen, wie das Klosterleben als Novize ist!«
Nur zu bereitwillig ging Sebastian auf ihren Vorschlag ein. Sie schlugen einen Bogen um das Kloster. Als sie ein schmales Waldstück durchquerten, das sich wie
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