Das Kloster der Ketzer
welch ein Ereignis er denn wartete oder hinarbeitete, damit er, Sebastian, sich nicht länger in Gefahr befand und endlich wieder unbeschwert seiner eigenen Wege gehen konnte.
Es wurde kaum gesprochen. Der Mönch, der die gemeinsame Arbeitszeit in der Werkstatt gewöhnlich für religiöse Unterweisungen nutzte, beschränkte sich in diesen Stunden auf sehr knappe Anweisungen. Gelegentlich gab er einen ungeduldigen Zischlauf von sich oder äußerte eine scharfe Ermahnung, wenn ihm etwas nicht schnell genug ging. Mehr kam jedoch nicht über seine Lippen.
Stumm arbeiteten Sebastian und Pachomius ihm zu. Sie wussten nur zu gut, was sie von seinem wortkargen und leicht gereizten Gebaren zu halten hatten. Wenn es ans Drucken ging, befiel den Novizenmeister stets eine nervöse Anspannung. Er sorgte sich bei jedem handgeschöpften Bogen Papier, der auf den Deckel kam, ob er die schwarze Farbe mit dem pilzförmigen Druckerballen wohl auch gleichmäßig auf die Lettern aufgebracht und dann den Tiegel mit dem Bengel auch kräftig genug auf den Satz gepresst hatte.
Ausgerechnet in dem Moment, als Bruder Scriptoris einen fehlerhaften Druck aus dem Deckel nahm und feststellte, dass einer der Druckballen Risse aufwies, tauchte unerwartet Bruder Sulpicius bei ihnen auf. Der dickleibige Prior hätte sich keinen ungünstigeren Moment für seinen Besuch in der Werkstatt aussuchen können.
»Habt Ihr schon die Neuigkeit von dem Prozess gehört, Bruder Scriptoris?«, fragte er beschwingt, ja fast triumphierend. »Ich komme gerade aus Passau zurück, und ich denke, Euch gebührt es zuerst, die Nachricht von mir zu erfahren.«
Der Novizenmeister wandte sich ihm widerwillig zu. »Dass die beiden Wiedertäufer heute Morgen zum Tode verurteilt
worden sind und in den nächsten Tagen vor der Stadt hingerichtet werden sollen, weiß ich bereits!«, blaffte er gereizt. »Da ist Euch leider ein einfacher Stallknecht zuvorgekommen, werter Bruder Sulpicius!«
Sebastian krampfte sich der Magen zusammen, als er dies hörte. Das Urteil war also gefällt! Nun wartete auf die Ketzer der Scheiterhaufen – oder der gnädige Streich des Richtschwertes, sofern sie noch in letzter Minute bereuten und ihrer Ketzerlehre abschworen. Und er fragte sich, ob der Prozess gegen die Wiedertäufer wohl etwas mit den Geheimnissen um seinen Vater, den Domherrn und den Kapuzenmann zu tun hatte, die sein Leben an jenem nebligen Aprilabend so plötzlich aus seiner sicheren und beschaulichen Bahn geworfen hatten.
Der Prior lachte auf und winkte ab. »Aber nein! Das ist nicht die bedeutsame Neuigkeit, die ich Euch überbringe. Was kümmern uns diese beiden namenlosen Ketzer! Ihr Schicksal war gottlob schon besiegelt, als der Prozess begann. Die Kerle werden wohl noch diese Woche brennen und zur Hölle fahren, so wie sie es als Satans teuflische Brut verdient haben«, sagte er mit selbstgefälliger Miene, während er näher trat. »Nein, ich rede vom Prozess gegen diese viel giftigere und gefährlichere Natter unter den lutherischen Ketzern namens Leonhard Kaiser. Der Verräter an unserer heiligen Kirche und der Rechtgläubigkeit wird sich bald vor Gericht verantworten müssen. Er soll ja nach Luthermanier recht gelehrt sein. Aber dem berühmten Scholaren, der ihm bald vor Gericht auf der Seite der Anklage gegenübersteht, wird er nicht gewachsen sein. Der Gelehrte der Anklage wird die neugläubigen Bekenntnisse von Leonhard Kaiser unschwer als das entlarven, was sie sind – nämlich Ketzerei und Teufelswerk!« Er machte eine kurze Pause und fragte dann mit einem Lächeln: »Ja, wollt Ihr denn
gar nicht wissen, um wen es sich bei dem berühmten Gelehrten handelt?«
»Ich bin sicher, dass Ihr es mich gleich wissen lassen werdet«, erwiderte Bruder Scriptoris sarkastisch.
Der spitzzüngige Spott perlte an dem Prior ab wie Regentropfen von einem eingewachsten Segeltuch. »Es ist niemand anderes als der allseits bewunderte Doktor Johannes Eck, der vorzügliche Ingolstädter Professor, dem der Herzog die Vorbereitung der Anklage übertragen hat!«, verkündete Bruder Sulpicius, und er klang, als hätte er in einem langen und erbittert geführten Streit den Sieg errungen. »Der aufrechte Mann, der schon Luther bei den Disputationen in Leipzig 1519 und erneut zwei Jahre später auf dem Reichstag in Worms in die Knie zwang und der wohl das größte und anerkannteste Werk gegen den lutherischen Irrglauben verfasst hat!«
Mit dem schadhaften Druckerballen in der Hand stand
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