Das Kloster der Ketzer
liegen, womit er gerade auch beschäftigt gewesen sein mochte.
»Allmächtiger!«, stieß Bruder Cäsarius erschrocken hervor. »Wer hat denn da geschrien? Und was hat das zu bedeuten?« Und im selben Augenblick stürzte er auch schon zur Tür, die auf den Hof hinausführte.
Sebastian folgte ihm auf dem Fuße, nicht weniger begierig zu erfahren, wer da einen derart markerschütternden Schrei ausgestoßen hatte und warum.
Auch andere Mönche sowie Konversen eilten herbei, einige hatten sich auf dem Hof aufgehalten, andere kamen aus dem Haus gerannt. Die Klosterbrüder blickten sich verwirrt nach demjenigen um, der geschrien hatte.
»Der Schrei kam von da hinten! Da bin ich mir ganz sicher!«, verkündete jemand und deutete an der Nordseite des Konventshauses entlang in Richtung auf die Pforte in der Klostermauer, durch die man zu den drei Fischteichen gelangte.
»Da hinten an der Hausecke liegt jemand am Boden!«, rief
im nächsten Moment der Cellerar. »Und der Mitbruder, der da bei der Gestalt kniet, ist doch Bruder Egidius!«
Alle liefen nun zu Bruder Egidius und dem Mönch, der an der hinteren Hausecke verkrümmt am Boden lag, wo die Klausur in den Kräutergarten von Bruder Eusebius und ein gutes Stück weiter links in den Friedhof überging.
Sebastian war einer der Ersten, die mit hastig geraffter Kutte an der Hausecke eintrafen. Bruder Egidius hatte sich indessen wieder aufgerichtet und verdeckte den Blick auf den Mann, der da mit unnatürlich verrenkten Gliedern auf dem Kiesweg lag. Das Blut war ihm aus dem Gesicht gewichen, das so bleich wie das einer Leiche wirkte.
»Von da oben… er ist… er hat sich… von da oben in die Tiefe gestürzt!«, stammelte er mit bebender Stimme und wies vage zum zweiten Stockwerk hoch. »Wollte zu... zu den Fischteichen... noch einmal nach dem Rechten sehen... so wie immer... und da... da... plötzlich direkt vor mir... er... er muss sofort tot gewesen sein... Jesus, Maria und Joseph … aus solcher Höhe!« Er schlug das Kreuz.
»Wer ist es?«, wollte der Cellerar wissen und drängte sich grob an Sebastian vorbei.
»Es ist unser junger Bruder Pachomius!« Der Mönch schluckte heftig, als hätte er Mühe, den Brechreiz in sich zu unterdrücken. »Der Herr möge seiner gequälten Seele gnädig sein!«
17
Sebastian schlug vor Entsetzen die Hand vor den Mund, als Bruder Egidius einen Schritt zur Seite trat und sein Blick nun ungehindert auf den Toten fiel. Ihm war, als gefror das Blut in seinen Adern. Vor einer knappen Stunde hatte er noch auf der Kellertreppe und am Treppenaufgang mit Pachomius gesprochen und nun war er tot! Hatte sich durch einen Sturz in die Tiefe das Leben genommen!
Pachomius lag mit verdrehten Gliedern halb auf der linken Seite. Seine leblosen Augen starrten mit gebrochenem Blick schräg an ihm vorbei in den Abendhimmel. Das blutleer wirkende Gesicht war zu einer verzerrten Maske der Angst oder des Schmerzes erstarrt. Es glänzte zudem, als wäre ihm noch kurz vor seinem Tod der Schweiß aus allen Poren gebrochen. So etwas wie Schaum oder Erbrochenes rann ihm aus dem klaffenden Mund.
Nun näherte sich der Prior im Laufschritt der Menge, die sich in Windeseile um den Toten gebildet hatte. Bei seiner rundlichen Gestalt war das ein ungewöhnlicher Anblick für seine Mitbrüder.
»Macht Platz! … Zur Seite, Brüder! … Lasst mich durch!«, rief er ungeduldig und mit hochrotem Kopf, dabei fuchtelte er mit den Händen so ähnlich durch die Luft, wie ein ungeübter Schwimmer im Wasser die Wellen vor sich zu teilen versucht.
Die Mönche bildeten nun rasch eine Gasse, um ihren Prior zu dem Toten durchzulassen.
Auch Sebastian trat zwei Schritte zur Seite, achtete jedoch darauf, dass er seine Position in der vordersten Reihe trotz des Gedränges der Mönche verteidigte.
»Wie... wie ist das passiert?«, fragte Bruder Sulpicius nach Atem ringend in die Runde.
»Ich wollte zu den Fischteichen... und da... da ist Bruder Pachomius von da oben herabgestürzt«, teilte Bruder Egidius ihm mit und rang noch immer um Fassung. »Fast erschlagen hätte er mich im Tod noch!« Hastig schlug er erneut das Kreuz.
Der Cellerar schob ihn sacht zur Seite, während er zum Prior trat. »Er kann sich nur aus dem Fenster dort oben gestürzt haben! Es gehört zu dem kleinen Versammlungsraum neben der Abtskapelle«, stellte er nüchtern fest und wies auf das Eckfenster im zweiten Stockwerk, das einzige Fenster in der Reihe, dessen Flügel sperrangelweit aufstanden. Und
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