Das knallrosa Tagebuch: Das knallrosa Tagebuch
mich nicht nach Camp Sunshine fahren. Oma sagt, sie schafft so eine weite Strecke nicht mehr, und Papa behauptet, daß er Arbeit suchen muß. Also hat Oma Reverend Silk angerufen und ihn gebeten, mich hinzufahren. Er meinte, er tut es gern.
Heute hat Oma mir zum Abendessen meine Lieblings-Fischstäbchen gebraten. Sie meinte, ich solle mich benehmen und ihr im Ferienlager keine Schande machen. Fapa hat mir dasselbe gesagt wie Jeff, nämlich daß ich mich nicht übers Ohr hauen lassen soll.
Ich fühlte mich heute Komisch. Aufgeregt und nervös und ängstlich zugleich. Ich habe nur drei Fischstäbchen runtergebracht. Normalerweise schaffe ich sechs oder sieben. Oma fragte, warum ich keinen Appetit habe, und ich sagte ich hätte keine Ahnung. Als sie mir noch ein paar Kartoffeln auftun wollte, hat Mama sie daran gehindert und gesagt, ich hätte genug gegessen.
21:36
Gerade war Papa in meinem Zimmer. Er hat mir für morgen Glück gewünscht. Ich ihm auch. Dann sagte ich, ich hoffe, daß er von seinem Alkoholismus geheilt wird. Er zog ein Gesicht und meinte, er wäre nie geheilt gewesen. Er hätte sechs Monate gebraucht, um das zu merken. Früher hätte er immer gedacht, daß er nur zu trinken aufhören muß, und damit wäre die Sache ausgestanden. Aber das Bedürfnis nach Alkohol wird er nie wieder loswerden. Es ist wie eine Krankheit.
Dasmachte mich ziemlich traurig. Aber ich hatte keine
Zeit, darüber nachzudenken, denn Papa hat zu mir gesagt: »Hoffentlich wirst du geheilt.«
Ich wußte sofort, was er damit meinte. Eigentlich hätte ich sauer sein sollen, doch ich war es nicht. Papa hat hat ehrlich besorgt ausgesehen. Er will wirklich, daß ich wieder gesund werde. Mir ist keine Antwort eingefallen. Ich konnte ihm schließlich schlecht sagen, daß es keine Heilung gibt. Daß ich gar nicht gesund werden will. Daß ich das Bedürfnis immer haben werde. Also habe ich den Mund gehalten und ihn in seinem Glauben gelassen.
30. Juni
Bin heute in Camp Sunshine angekommen. Reverend Silk hat mich hingefahren. Es war ziemlich scheußlich, von zu Hause wegzugehen. Als ich mich von Mama, Oma und Papa verabschiedet habe, ist mir ständig die Stimme umgekippt. Ich bin so schnell wie möglich zu Reverend Silk ins Auto gestiegen. Beim Überqueren der Stadtgrenze von Tranten Township hatte ich ein mulmiges Gefühl im Magen, und mir fiel ein, daß ich zum erstenmal im Leben allein wegfahre. Reverend Silk blickte mich an und fragte, ob alles in Ordnung ist. Am liebsten wäre ich aus dem Auto gesprungen und nach Hause gerannt. Ich glaube, Reverend Silk wußte, daß ich Angst hatte. Er hat das Radio angemacht, und mir ging es gleich ein bißchen besser.
Nach einer langen Fahrt sind wir endlich beim
Ferienlager angekommen, ein paar Hütten an einem See. Seitlich davon steht noch eine große Hütte, in der wir essen und uns versammeln. Die Ankunft war wirklich komisch. Ich hatte gedacht, daß alle hier in Anzug und Krawatte rumlaufen würden, als ob sie gleich in die Kirche müßten. Aber sie hatten Shorts und T-Shirts an wie ich. Zwei Mädchen, die ein bißchen älter wirken wie Marsha - ich glaube, sie heißen Pia und Denise - haben Namensschilder verteilt und jeden begrüßt.
Dann haben wir uns alle im Saal versammelt, und ein Typ namens Onkel Lloyd hielt eine Willkommensrede. Er sagte, wir hätten »wirklich Glück« gehabt, weil ein paar »gute Menschen« an uns gedacht und uns diesen Aufenthalt ermöglicht hätten. Ich fand überhaupt nicht, daß ich Glück gehabt hatte. Mir war schlecht. Weiter hat Onkel Lloyd gesagt, daß Camp Sunshine das Ziel verfolgt, Kinder aus verschiedenen sozialen Schichten zusammenzubringen und die Verständigung zwischen ihnen zu fördern. Dann erzählte er noch irgendwas über Aktivitäten am Vormittag und daß am Nachmittag »Gemeinschaftsarbeit« stattfindet. Aber ich habe nicht richtig zugehört.
Anschließend hat Onkel Lloyd unsere Namen vorgelesen und uns auf Hütten verteilt. Ich wohne mit drei anderen Jungs und einem Gruppenleiter namens Simon in einer Hütte, die »Eiche« heißt. Einer meiner Mitbewohner, Vinnie, ist aus Boston hergeschickt worden. Er hat schon ein Vorstrafenregister. Deshalb hat eine Kirchengemeinde Geld gespendet, damit er aus der Stadt rauskommt und nicht mehr in Schwierigkeiten gerät. Ich weiß das, weil er es mir beim Auspacken erzählt hat. Er hat Radios geklaut und war deshalb im Erziehungsheim. Auf dem Arm hat er eine Tätowierung: »FASS MICH BLOSS NICHT AN.«
Der
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