Das knallrosa Tagebuch: Das knallrosa Tagebuch
ließ ich sie noch mal schwören, nur für alle Fälle. Diesmal ist sie ernst geblieben, und Ich hatte den Eindruck, daß sie es ehrlich meint. Keine verstellte Stimme. Bei Kimby blickt man nicht leicht durch. Sie hat mir die Bücher und die Hausaufgaben mitgebracht die ich über die Ferien machen muß. Sie fliegt morgen mit ihren Eltern nach Cancun. Ich hatte soviel um die Ohren, daß ich die Februar-Ferien ganz vergessen habe. Eine Woche schulfrei. Gerade zur rechten Zeit. Es geht mir schon viel besser ...
18:48
Oma ist vorhin reingekommen und hat gefragt wie es mir geht. »Besser«, antwortete ich. Sie hat sich gefreut, weil Jeff und ich morgen mit Mama nach Riverbrook fahren sollen, um mit Papa und seinem Therapeuten zu sprechen. Als sie mich daran erinnerte, ist mir gleich wieder schlecht geworden. Ein toller Ferienanfang.
22. Februar
War heute mit Mama und Jeff in Riverbrook. Wie sich herausgestellt hat, ist es eine Nervenklinik. Die Alkoholiker haben ihren eigenen Flügel im hinteren Trakt des Gebäudes. »Ich hab' keinen Bock auf diese Scheiße«, hat Jeff auf der Hinfahrt dauernd genörgelt. Als wir die Auffahrt hochgingen, fing eine Frau an zu schreien, und er hat ganz Komisch geschaut. Ich wollte so schnell wie möglich wieder weg. Als ich Jeff ansah, wußte ich, daß es ihm genauso ging.
Dann haben wir in einem leeren Zimmer im Alkoholiker-Flügel mit Papa und seinem Therapeuten gesprochen, der aussieht wie Captain Kangaroo. Captain Kangaroo hat zuerst Mama und dann uns begrüßt. Jeff und ich haben kein Wort gesagt. Papa meinte, daß wir gut aussehen. Er sah auch ziemlich gut aus, aber das wollte ich ihm nicht auf die Nase binden. Papa erzählte, daß er zum Stationssprecher gewählt worden ist. Mama hat ihm gratuliert. Jeff und ich haben weiter geschwiegen.
Dann hielt Captain Kangaroo eine Rede darüber, wie wichtig es sei, daß man in der Familie miteinander kommuniziert. Mamas Haltung zu der Geschichte kannte er schon, und jetzt sollten wir Papa sagen, wie es uns geht, wenn er trinkt. Jeff und ich waren immer noch ruhig. Es war lange still. Ich fühlte mich echt unwohl. Papa sah aus, als würde er sich auch unwohl fühlen. Als wäre er am liebsten ganz weit weg. »Komm schon, Jeff«, sagte er.
Als Jeff hörte, wie Papa seinen Namen nannte, muß bei ihm eine Schleuse aufgegangen sein, denn er ist EXPLODIERT. Die Worte sind nur aus ihm herausgesprudelt. Er fing damit an, daß er tausend Punkte in Basketball geschafft hat, und Papa war nicht bei ihm. Er hat Marsha einen Heiratsantrag gemacht, und Papa war nicht bei ihm. Papa habe ihn praktisch jeden Tag in Schwulitäten gebracht, wenn er betrunken war, und jetzt hätte er die Nase voll. Dann ist Jeff aufgesprungen. »Du kotzt mich an!« brüllte er und ist rausgegangen. Papa hat ihm »Warte« nachgerufen, aber Jeff ist nicht stehengeblieben. Dann hat sich Papa zur Wand umgedreht und »Ich liebe dich« gesagt. Captain Kangaroo blickte mich an und fragte dann: »Was empfindest du für deinen Vater, Ben?«
Ich war ganz verdutzt. Noch nie hat mich jemand nach meinen Empfindungen gefragt. Jeder geht davon aus, daß bei mir alles okay ist. Papa macht Terz, Papa führt sich auf wie ein Idiot, Jeff macht noch mehr Terz und führt sich auch auf wie ein Idiot. Und ich lebe in den Tag hinein und tue so, als ob alles in Butter wäre.
»Ich weiß nicht«, hörte ich mich sagen. Und das war die reine Wahrheit. Papa hat sich in seinem Stuhl aufgerichtet und gemeint: »Komm schon, Ben. Was war denn damals, als ich an deinem dreizehnten Geburtstag betrunken zur Feier gekommen bin?«
Da fiel mir alles wieder ein. Ich hatte ein paar Leute eingeladen. Mama hat einen großen Kuchen gebacken. Wir haben gerade im Wohnzimmer Platten gehört, als Papa sturzbetrunken hereinspaziert kam und Mama und mich anschrie, weil ihm der Krach zuviel war. Dann hat er den Plattenspieler umgeschmissen. Ich hätte im Erdboden versinken können. Nie mehr habe ich einen dieser Mitschüler eingeladen. Es ging einfach nicht. Mag ist die einzige Ausnahme.
»Ich habe dich gehaßt«, antwortete ich. Und das war auch die reine Wahrheit. Papa hat genickt, als ob er damit gerechnet hätte. Dann wurde Captain Kangaroo ganz sanft und sagte: »Du mußt es deiner Familie erzählen, wenn du dich so fühlst. Dein Papa hat gesagt, du hättest nie mit ihm darüber geredet.«
Ich weiß nicht warum, aber das machte mich wütend. Als ob es mein Fehler wäre, daß ich mich nicht wie Jeff ständig mit Papa
Weitere Kostenlose Bücher