Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
Käfer, die Enttäuschung und die Hoffnungslosigkeit. Urgroßmutter aber läuft mit ihren roten Händen durch die Stadt am Rand der Welt, und die Vesturgata sagt zu ihr: »Schick mir mal den Burschen, und ich werde ihm die Leviten lesen!« Denn schon wenige Tage, nachdem sie in das Kellerloch gezogen sind, bricht er zum dritten Mal zusammen und verschwindet. In einer Nacht träumt Urgroßmutter, sie würde mit dem langen und scharfen Küchenmesser auf Urgroßvater losgehen und ihm das Herz aus der Brust schneiden. Schnell, sicher, bedenkenlos. Es geht ganz leicht, und hinterher fühlt sie sich, als sei eine große Last von ihr genommen. Da aber sieht sie, wie sein Herz zuckend in ihrer Hand schlägt wie ein Kind mit Schluckauf.
Dann kommt er in ihre Höhle zurückgeschlichen.
Das Gewissen von schwarzem Ungeziefer überlaufen und voller Hass auf sich selbst.
Sie macht ihm schweigend das Bett, hält die tobenden Kinder fern; es gibt keine Vorwürfe, keine Anklagen, doch als sie ihm das Kissen unter dem Kopf zurechtrückt und ihm mit einem feuchten Tuch übers Gesicht wischt, sieht Urgroßvater die Verzweiflung in den dunklen Augen seiner Frau, die Enttäuschung und die Hoffnungslosigkeit, und da ist ihm, als würde ihm jemand das Herz herausschneiden.
9
Eines Tages erheben sich vier Wohnblöcke an der Stelle, wo früher in Jahrtausenden ein Moor seine Bülten auftrieb, Vögel zwitscherten und Wollgras seinen Flaum wehen ließ. Tief wird die Erde ausgehoben, längst verflossene Zeit kommt an die Oberfläche, und mehr Bekassinen, als ich an meinen Fingern abzählen kann, verlieren ihr Nest, mehr Rotschenkel, mehr Goldregenpfeifer, und allzu viele Käfer und Marienkäfer werden obdachlos, doch dafür ragen vier Blöcke auf. Der junge Mann aus dem Ostland geht unzählige Male mit seiner Schubkarre zwischen den obersten Blöcken und dem Muli-Viertel hin und her, holt Bauholz, Zementsäcke und alles andere, um das Erdgeschoss links zu einer Wohnung zu machen. Die junge Frau bekommt Arbeit in einer Bank, langweilt sich fürchterlich, geht aber doch pünktlich und gewissenhaft hin, denn es ist teuer, sich eine Wohnung zu kaufen. Sie sparen, sie heiraten. In einem Schaufenster sieht sie einen Mantel und macht den jungen Mann darauf aufmerksam. »Was meinst du, wie toll ich darin aussehen würde«, sagt sie.
»Nein«, gibt er, vor Verantwortungsbewusstsein geschwollen, zurück. »So etwas muss noch warten.« Zum Beweis zeigt er ihr das Haushaltsheft.
»Liebe Schwester«, schreibt sie, »Bedenkenlosigkeit ist eine Tugend. Sie ist eine Lebensnotwendigkeit, aber eine solche Einstellung hat sich anscheinend noch nicht bis in die Ostfjorde herumgesprochen. Sie liegen ja auch hinter dem Sprengisandur und Bergen, deren Namen ich nicht einmal weiß. Aber ich weiß schon, was ich tun werde.«
Als ihr Mann eines Tages von der Arbeit nach Hause kommt, begrüßt sie ihn niedergeschlagen und erzählt ihm, dass ihr der Ehering vom Finger in die Toilette gefallen sei und sie ihn nicht wieder habe herausfischen können. »Oh weh, mein Liebster!«
Das aber war eine Lüge, denn wenige Wochen später geht sie mit dem Ring zu einem Juwelier und bekommt einen guten Preis für ihn, der allemal für den Mantel reicht. Sie weiht Großvater ein, der vorgibt, ihr den Mantel geschenkt zu haben, Großmutter schüttelt den Kopf und murmelt etwas von Verschwendung, der junge Mann aber ist völlig verblüfft, wie gut ihr der Mantel steht. Und der Winter vergeht.
Ein ganzer Winter in einer Bank. Die junge Frau stirbt vor Langeweile und Ungeduld, sie träumt davon, das ganze Geld in Brand zu stecken, den Kunden die Zunge rauszustrecken. Wann immer sie Gelegenheit dazu hat, liest sie heimlich in einem Buch, und an einem warmen Sommertag stößt sie auf folgende Zeilen eines Gedichts:
Achtet auf die Sonne,
die die Brüste einer Jungfrau hebt.
Als der junge Mann müde von der Arbeit nach Hause kommt, verkündet sie, es sei Schluss mit der Bank, sie habe gekündigt. Er reagiert verzweifelt, doch sie sagt: »Pff, kein Problem, wir schaffen das schon. Aber ich musste aus dieser verfluchten Bank raus, sonst wäre ich verrückt geworden. Lass uns das feiern«, sagt sie. »Lass uns einfach drei
Tage zu Hause bleiben! Wir bleiben drei Tage hintereinander im Bett und kümmern uns um gar nichts.« Sie streichelt seinen rechten Arm und beißt ihn in den linken.
Die, die mich unter fürchterlichen Schmerzen zur Welt brachte
Meine Mutter streichelt meinem
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